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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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einen halben Tag in Uppsala zu verbringen. Herumzulaufen und sich zu erinnern. Vielleicht gegen Nachmittag Rickard anzurufen. Er hatte dessen Nummer im Telefonbuch herausgesucht, bevor er Gäddede verlassen hatte.
    »Jedenfalls gut, dass ich die Nummer hatte«, sagte er mit einem blassen Lächeln. »Obwohl ich eigentlich gedacht hatte, wir könnten eine Tasse Kaffee bei Fågelsången trinken. Und nicht hier.«
    »Sei froh, dass du lebst«, sagte Rickard. »Man soll sich nicht mit Bussen anlegen.«´
    »Oh ja«, stimmte Helge zu. »Das habe ich auch begriffen. Ich war etwas müde, hatte im Zug nicht viel geschlafen.«
    »Wie spät war es denn?«
    »Erst sechs Uhr. Ich habe nicht gerade viel von der Stadt zu sehen gekriegt. Bin nicht einmal über die Kungsgatan gekommen.«
    Rickard betrachtete ihn, wie er da im Bett lag. Ein Arm und ein Bein waren eingegipst, und im Gesicht war er graublau. Ein kleiner Schnurrbart, der noch am Wachsen schien.
    »Und diese Ausbildung, die du anfangen solltest …?«
    »Muss ich jetzt wohl erst mal aufschieben«, sagte Helge. »Schade. Ich bin diese Lappenhölle ziemlich leid.«
    Er versuchte zu lachen. Es wurde eine Grimasse. »Und wie geht es dir?«
    Rickard zog den Stuhl näher ans Bett. »Ich ziehe heute mit Anna zusammen.«
    »Was?«, fragte Helge. »Heute?«
    Rickard nickte. »In die Väktargatan in Kvarngärdet. Außerhalb von Migo, weißt du. Tut mir leid, dass ich es dir nicht geschrieben habe.«
    Helge versuchte mit den Schultern zu zucken. »Wir sind beide nicht so besonders emsig mit dem Schreiben. Wobei es bei mir daran liegt, dass nichts passiert ist. So ist das nun einmal in meiner Gegend.«
    »Ich habe nicht den Eindruck, dass du darüber klagen könntest, dass nichts passiert«, widersprach Rickard und zeigte auf den Gips. »Mein Gott, Helge.«
    Helge lächelte wieder blass.
    »Nun ja, aber das geht vorbei. Vielen Dank, dass du gekommen bist. Erinnerst du dich noch, wie ihr euch kennengelernt habt? Du und Anna. Bei dieser Demo.«
    »Natürlich erinnere ich mich«, sagte Rickard.
    »Sie hatte sich den Fuß verstaucht, und jetzt seid ihr ein Paar«, sagte Helge. »Kommunistenmädel landet verletzt in den Armen eines zukünftigen Pfarrers. Das ist zu schön, um wahr zu sein.«
    »Und wie steht es bei dir an dieser Front?«, fragte Rickard, »bezüglich Mädchen, meine ich.«
    »Es gibt keine Mädchen in Gäddede«, sagte Helge mit einem schweren Seufzer. »Ich dachte, in Stockholm wird es besser werden. Aber ich fürchte, jetzt muss ich erst mal wieder nach Hause fahren und abwarten.«
    »Vorfreude ist die schönste Freude«, sagte Rickard.
    »Wenn du es sagst«, meinte Helge. »Du Witzbeutel.«
    Er blieb mehr als drei Stunden im Krankenhaus. Als er in die Väktargatan zurückkam, war es bereits sieben Uhr, und Anna war allein. Sie sah müde aus. Berichtete, dass Maria und Germund sie erst vor einer Viertelstunde verlassen hatten. Drei Kartons waren noch auszupacken, und Rickard schlug vor, sie sollten damit warten und stattdessen lieber eine Flasche Wein trinken.
    Zumindest das Bett war zusammengesetzt und fertig, das war das Wichtigste. Seiner Meinung nach sollten sie mit dem Rest bis zum nächsten Tag warten, und Anna nickte. Aber Wein wollte sie nicht trinken.
    »Ich glaube, ich brauche jetzt einen Spaziergang«, sagte sie. »Wenn du nichts dagegen hast.«
    »Warum sollte ich etwas gegen einen Spaziergang haben?«, fragte Rickard. »Wohin wollen wir gehen?«
    »Ich glaube, ich möchte allein gehen«, sagte Anna und schaute dabei zu Boden.
    Rickard gelang es, seine Enttäuschung hinunterzuschlucken. So ist sie nun einmal, stellte er fest. Das muss ich akzeptieren. Kein Mensch ist wie der andere, es ist kindisch, sich das einzubilden.
    Und als sie zwei Stunden später zurückkam, tranken sie trotz allem noch jeder ein Glas Wein. Auf dem braunen Cordsofa und mit zwei noch nicht ausgepackten Kartons. Und er dachte, dass es doch nicht so schlecht war, wenn man bedachte, dass es seit dem frühen Morgen schon ein Dienstag gewesen war.

26
    A ls Gunnar Barbarotti Rickard Berglund die Hand schüttelte und ihn begrüßte, dachte er, dass der Krebs ansteckend sein musste. Dass er sich auf unbekannten Wegen von einem Ehepartner zum anderen gestohlen hatte und dass dieser magere, graublasse Mann, der ihn bat, in die Wohnung einzutreten, nicht mehr viel Zeit haben würde, auf Erden zu wandeln.
    Barbarotti wusste, dass er einundsechzig war, aber er sah mindestens zehn Jahre älter

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