Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Häppchen.
Ekki und Minnie sahen sich an. Für einen Moment. Wie so oft.
Er saß heute da – und würde morgen da sitzen. Minnie stand da – und würde
morgen da stehen. Sofern nicht einem von beiden etwas zustieß. Diese nicht zu
unterschätzende Einsicht in eine unterschwellige Ordnung der Dinge beruhigte
Ekki, der angetrunken war und gerne mit Minnie geplaudert hätte. Aber
Samstagabend war zuviel los, der Laden ging gut, und das war schön, denn es
sicherte Minnies Arbeitsplatz. Wovon auch Ekki was hatte. Sie würde ihm auch
morgen und übermorgen noch das Bier an seinen Tisch bringen. Sofern ihr, wie
gesagt, nicht irgendwas zustieß. Das Leben stößt immer wieder mal zu. Aber es
hat genug zu tun und kann nicht überall sein.
»Darauf wolln wir einen trinken!« rief Ekki laut und hob sein Glas
in Richtung Minnie.
Die lachte, weil sie dachte, daß Lachen angebracht sei. Lachen war
eigentlich immer die passende Reaktion. Auf alles. Der arme Ekki schien ein
Glas zuviel gehabt zu haben, er verschüttete was, als er trank. Minnie setzte
sich kurz zu ihm. »Geh lieber mal nach Hause.«
»Ich muß dir doch«, lallte Ekki, »nochn Kaiser erzählen …«
»Morgen, Ekki, morgen. Heute ist Betrieb. Geh lieber mal heim.«
Leider hatte Ekki in den letzten Wochen seinen Bart ungehemmt
sprießen lassen. Das machte ihn älter und gab seiner Erscheinung etwas
Ungepflegtes. Vielleicht sollte sie ihm das bei Gelegenheit mal andeuten.
Andererseits – er hätte es womöglich als Aufforderung mißverstanden, sich für
sie aufzuhübschen. Womit seinerseits wohl ein paar Hoffnungen verbunden gewesen
wären, die Minnie dann mühsam aus der Welt schaffen müßte.
20
SONNTAG
Thomas und Carla stiegen um zwei Uhr nachts die
Wendeltreppe des Dark-Side-Clubs hinauf ins Freie, wo er sich erst mal eine
Zigarette ansteckte und die Fülle des Gesehenen rekapitulieren und verdauen
wollte.
»Ich wußte nicht, daß du so eine Drecksau bist, Carla.«
»Ach komm, hab dich nicht so. War doch lustig.«
»Ich fands alles andere als lustig.«
»Ja«, lachte Carla, »weil du verklemmt bist und bieder bis ins
Knochenmark!« Ihr ging es grad ziemlich gut, und sie sah keinen Grund, das zu
verbergen, nur weil Thomas verstört war, eifersüchtig, intolerant und
rassistisch bis zum Penisneid.
Sibylle erwachte, weil Holger, der hinter ihr lag, es
irgendwie geschafft hatte, zu ihr durchzudringen, im engeren Wortsinn. Zwei,
drei Zentimeter tief in sich spürte sie seine Zudringlichkeit, eines der vielen
Löcher in ihrer Strumpfhose mußte ihm als Schlupfloch gedient haben. Die Sonne
ging schon auf, und Sibylle fühlte sich deutlich penetriert, um nicht zu sagen:
ausgenutzt. Der Kerl hatte es geschafft, in sie einzudringen, während sie
schlief. Andererseits hatte sie nicht wirklich was dagegen. Seine
Beharrlichkeit gefiel ihr sogar.
Holger erschrak, als Sibylle ihn, ohne sich umzudrehen, fragte, ob
er in ihr gekommen sei.
»Nein, natürlich nicht.«
»Sicher?«
»Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt. Ein bißchen?«
»Scheiße!« Sibylle wußte instinktiv, daß sie schwanger war. »Du
Scheiß-Vergewaltiger!«
»Tschuldigung. Ging die Sau mit mir durch.«
Sibylle sprang auf und weckte laut den Rest der Truppe mit dem
verzweifelten Ruf:
» WAS MACH ICHN JETZT? «
Die Jungs sprangen sofort aus ihren Schlafsäcken. Die beiden Mädels
blieben in ihrem liegen und machten auf verpennt. Sibylle beschloß, die
Vergewaltigung vorerst mal nicht zu erwähnen, das hätte für Holger böse Folgen
haben können.
»Ich brauch die Pille für danach. Wo krieg ichn so was?«
»Na inner Apotheke«, grunzte Stiefel.
»Nee, brauchste vorhern Rezept«, verbesserte ihn Socke, der mit
dieser Problematik schon Erfahrung hatte. Stiefel und Socke waren Zwillingsbrüder,
die einander gar nicht ähnlich sahen, Stiefel war fett und käsig, Socke eher
schmal und verpickelt. Die Mädels, Tine und Francesca, die hauptsächlich
deshalb in einem Schlafsack pennten, um vor Stiefel und Socke ihre Ruhe zu
haben, steckten nun ihre Köpfe raus.
»Krichsten Kind?« fragte Tine, und Francesca, die ungeachtet ihres
Namens aus nichts Südlicherem als Detmold stammte, rief laut nach heißem Wasser
und sauberen Handtüchern.
»Haaahaaa«, blaffte Sibylle. »Was fürn Tag isn heute? Sonntag, ne?
Da muß ich ja zum Notarzt, sone Scheiße! Ich bin doch nich ma inner
Krankenkasse! Alles bloß, weil du nicht aufpaßt.«
»Gibt in Kreuzberg sone Organisation, da brauchste nich
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