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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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ein, als sie auf dem Küchentisch einen Zettel
liegen sah.
    MUSS LEIDER ZUR ARBEIT. WAR EINE TOLLE NACHT. GERNE
MAL WIEDER. KUSS VOM BRANDBESCHLEUNIGER.
    Sie waren nach dem Essen noch in einer Bar gewesen, hatten jeder
zwei Hemingways getrunken, hatten danach im Viktoriapark geknutscht und
gegrabscht, danach bei ihr zu Hause bis fünf Uhr morgens gevögelt wie die
letzten Menschen auf der Welt. Er könne mit Kondom erst nach Stunden kommen,
hatte Uwe behauptet – und nichts als die Wahrheit gesagt.
    Er mußte sich nach zwei Stunden Schlaf leise davongestohlen haben.
Ein perfekter Abgang. Nichts hätte Janine mehr gehaßt, als mit verschmierter
Schminke für irgendwen ein auch noch so provisorisches Frühstück zubereiten zu
müssen.
    Sie ging unter die Dusche, und ein wenig tat es ihr leid, Uwes
Geruchsreste von ihrer Haut zu waschen. Sie fühlte sich gut und ausgefüllt,
begehrt und genommen.
    Sie spülte ihren Mund mit heißem Wasser aus, und ihr fiel ein, welch
privilegiertes Leben es bedeutete, seine Schüler auf den Nachmittag legen zu
können. Nach und nach fiel ihr immer mehr ein. Beispielsweise, daß sie eine
attraktive Frau war und jederzeit, wann immer sie wollte, Sex mit relativ
passablen Männern haben konnte. Uwe blieb, als sie über ihn nachdachte, ein
Lustobjekt, ein gut gebauter, beinahe unbehaarter Mann, mit einem ästhetischen
Penis, den sie gerne behalten hätte. Aber der Mensch, der an diesem Penis hing,
übte einen langweiligen, unkreativen Beruf aus, kam von daher als Partner nicht
ernsthaft in Frage, auch wenn sie sich eigentlich ganz gut unterhalten hatten.
Janine hatte sich, genaugenommen, noch nie mit jemandem länger unterhalten,
dessen Branche so fernab ihrer eigenen lag.
    Es klingelte. Vor der Tür stand Vivien, ein einundzwanzig
Jahre junges, leicht magersüchtiges Mädchen, das sich eine große Karriere
erträumte, wobei sie nur noch nicht wußte, als was genau. Mit einundzwanzig war
es dafür schon beinahe zu spät.
    »Hallo, Janine.«
    »Hallo, Viv. Darf ich dir mal ne Frage stellen?«
    »Klar.«
    »Weißt du, was Wurstabschnitte sind?«

18
    Eine Pennmöglichkeit? Ja wie?
    Ob sie eine Pennmöglichkeit für ihn hätten, er sei frisch angekommen
und teamfähig.
    Die Punks am U-Bahnhof Wittenbergplatz reagierten gereizt. Soviele
Wohlstandspseudos strömten aus der Provinz in die Stadt. Klar, allen mußte
geholfen werden, das war okay und ungeschriebenes Gesetz, aber der hier tat,
als könne Solidarität eingefordert werden. Von derlei Trittbrettfahrern gab es
genug. Der Kerl stellte sich als Holger vor, er habe eben noch mal seine Alten
in Bielefeld abgeerntet und sei bereit, einen Kasten Oettinger springen zu
lassen. Die autochthonen Punks beäugten ihn mißtrauisch, Oettinger hin oder
her. Sibylle, eine Blasse mit Ratte auf dem Kopf, fragte ihn, weswegen er weiße
Nike-Sneakers an den Füßen trug. Holger entgegnete, die habe er im Zug wem
geklaut, sonem Anzugmenschen, sie hätten gepasst, haha, der Anzugmensch habe
den Bahnhof in Strümpfen betreten müssen.
    Dagegen war nun wirklich wenig einzuwenden. Holger würde gegen Abend
seine Pennmöglichkeit bekommen, auch wenn die anderen deswegen enger
zusammenrücken mußten. Holger machte Geld locker, und bald tranken alle das
billige, aber gar nicht üble Oettinger-Bier, und scheiß auf den Rest. Sibylle
sagte Prost. Stiefel, der Älteste und Stärkste, kniff Holger in die Wange.
»Gehste mit Kühe fisten?«
    »Kühe fisten? Wo kann man denn hier Kühe fisten?«
    »Na, in der Kuhfistenstraße!«
    Schon auf diesem Niveau konnte man alle in der Truppe zum Lachen
bringen. Die Welt war lustig, überall dort, wo es das, wie Stiefel es nannte,
Oettinger-Lachen gab.
    »Wurstabschnitte?«
    »Ich hab gestern mit jemandem geredet, der hat dieses Wort benutzt,
und ich wußte nicht, was er meinte.«
    »Ja, das sind die Enden von Würsten, die vom Metzger weggeschnitten
werden, weil sie optisch nicht so viel hermachen, warum?«
    »Das hat er mir dann auch so erklärt. Ich kannte das Wort eben
nicht.«
    »Leute kaufen so was, die wenig Geld haben.«
    Janine nickte und legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter.
    »Ja. Hör mal, Viv, ich muß dir was sagen.«
    »Ja?«
    »Stammst du aus einem wohlhabenden Elternhaus?«
    »Ich? Nö. Kann man nicht sagen. Vielleicht haben meine Alten
inzwischen im Lotto gewonnen, dann wüßt ich es nicht. Warum?«
    »Ich mag dich. Du hast absolut kein Talent zur Tänzerin. Das hier
ist rausgeschmissenes Geld. Behalt

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