Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
und
Westkreuz eingebrochen. Diese Hütten waren oft sagenhaft mit Strom, Warmwasser
und Spirituosen versorgt, reine Paradiese.
Holger fragte, ob er in ihren Schlafsack kriechen dürfe. Sie hatte
keine Lust, gefickt zu werden, aber mit ihm würde es definitiv wärmer sein als
ohne, deshalb gab sie ihr Okay. Sie spürte Holgers Erektion an ihrem Bauch,
aber der Schlafsack ließ nicht viel Spielraum, und Sibylle schlief ein, ohne
daß irgendwas passierte. Ihre Ratte, Chrissie, schnüffelte lange, konnte sich
mit Holgers Gegenwart nicht so recht anfreunden, aber schließlich akzeptierte
sie den Status Quo, bettete sich an Sibylles Hals und schlief auch.
Uwe, als Janine ihn frech und beschwipst drauf
angesprochen hatte, welch langweiliges Leben er zu führen gezwungen sei, hatte
sofort und vehement widersprochen. Überall, wo man mit Menschen zusammentreffe,
ergäben sich interessante Einblicke. Neulich zum Beispiel, da sei ein Mann auf
ihn losgegangen, habe ihn wild beschimpft, weil dies und das nicht vorrätig
gewesen sei, Geschmackssorten von teuren Chips, die er wohl frei erfunden, die
es wahrscheinlich nie gegeben habe. Man habe den randalierenden Mann vor die
Tür setzen müssen. Daraufhin habe er, Uwe, sich Videos aus der
Überwachungskamera kommen lassen und habe das Bild des Mannes einigen
Verkäuferinnen gezeigt. Die hätten ihn prompt wiedererkannt. Nora von der Fischabteilung
habe sich erinnert, daß der Mann immer Fischabschnitte bei ihr gekauft hätte,
und Doris von der Fleischtheke erkannte ihn auch wieder. Der Typ habe immer nur
abgepackte Wurstabschnitte mitgenommen. Janine hatte Uwe mit der Frage nicht
unterbrechen wollen, was das denn sei – Wurstabschnitte –, damit die blöde
Geschichte schneller rum war. Jedenfalls, erklärte Uwe, die Geschäftsleitung
wolle nicht mehr, daß man Wurst- oder Fischabschnitte verkaufe, das sehe
irgendwie schmuddelig aus, passe nicht mehr zum New Style des
Karstadt-Lebensmittelmarktes. Ihm aber sei die Verzweiflung jenes Mannes ans
Herz gegangen und er habe die Fachverkäuferinnen angewiesen, künftig wieder den
gewachsenen Traditionen zu entsprechen. Danach habe er sich gut gefühlt, enorm
gut, ja famos. Ihm sei zu Bewußtsein gekommen, daß beinahe jeder es in der Hand
habe, im Kleinen etwas zu verändern, um das Leben der Mitmenschen günstiger zu
gestalten. Pfeif auf die Geschäftsleitung, die ohnehin nie einen Blick auf die
Verkaufsräume werfen würde.
Aha, hatte Janine gesagt und das Thema gewechselt.
Aber nun, im Abstand von einer Nacht, gefiel ihr die Geschichte
besser und besser.
»Du wirst sehen, es gefällt dir!«
Thomas Stern hatte sich sehr mühsam überreden lassen, diesen Club zu
besuchen. Letzten Endes nur aus Angst, vor Carla als ängstlich dazustehen, war
er schließlich eingeknickt.
»Und was ist, wenn ich dort jemand treffe, den ich kenne?«
»Dann wird der genauso peinlich berührt sein wie du. Das gleicht
sich aus. Wenn es einer deiner Bosse sein sollte, wärs sogar von Vorteil für
dich.«
Carla argumentierte klug, das mußte man ihr lassen.
»Ich muß mich aber nicht ausziehen, oder?«
»Nein, das ist kein Swingerclub. Aber selbst im Swingerclub gilt:
Alles kann, nichts muß. Du kannst, wenn du unbedingt willst, all deine Teile
anbehalten.«
»Was ist es denn dann, wenn kein Swingerclub? Da wird doch gefickt,
oder etwa nicht?«
»Da wird vieles. Vielleicht auch gefickt. Wir können uns aber
ebensogut nur die Darbietungen ansehen und die Leute, und nett was an der Bar
trinken.«
»Dafür zahlen wir 75 Euro Eintritt?«
»Jetzt sei mal nicht so knickrig.«
Stern grummelte. Aber er war auch neugierig. Carla war schon des
öfteren in diesem Club gewesen, und Stern wollte selbstverständlich wissen, was
da so abging, worauf sie abzielte oder hinauswollte. Er hatte ständig Angst,
irgendeines ihrer Bedürfnisse zu verpassen und sie als Geliebte zu verlieren.
Dabei hätte man gar nicht davon sprechen können, daß er in sie rettungslos
verliebt war. Aber einen Hardbody wie den einer Vize-Kickbox-Landesmeisterin
würde er so schnell nicht wieder ins Bett bekommen. Sarah, seiner Frau, hatte
er gesagt, er müsse übers Wochenende noch mal nach Bielefeld, stattdessen stieg
er nun die düstere Wendeltreppe in diesen Kreuzberger Club hinab. Nicht, daß er
Sarah böswillig anlügen wollte – es ging mehr darum, auf ihre Gefühle Rücksicht
zu nehmen. Irgendwann würde er Sarah bestimmt davon erzählen, doch wohldosiert,
in kleinen
Weitere Kostenlose Bücher