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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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aufgeblähten Sprüchen. Seiner Auffassung
nach war er zwar irgendwie gekommen, so halbwegs, aber das meiste Sperma war
ihr am Arsch vorbeigeflossen, war im Sinne der katholischen Kirche sinnlos
verschleudert worden. Daß Sibylle nun glaubte, schwanger zu sein, amüsierte
ihn. Erregte ihn auch. Das Abteil war beinah leer, er zeigte ihr seinen
erigierten Penis, als letztgültigen Beweis seiner Liebe. Sibylle kam aus dem
Staunen nicht mehr raus. Das Ding, das sie geschwängert hatte, sah sie gerade
zum ersten Mal. Gott, wie häßlich es war. Der häßlichste Penis, den sie je
gesehen hatte. Fast lilafarben, adrig und krumm, nicht lang, aber dünn, mit
einer Eichel in Form jener Bärenfellmützen, die die Typen trugen, die den
Londoner Tower bewachten.
    »Steck das weg!«
    Vincent bekam den Anruf der Agentur um Viertel nach neun.
Für Punkt zehn habe eine Kundin in Charlottenburg Lebendfleisch bestellt, ob er
den Gig übernehmen könne? Die Dame sei Stammkundin, anspruchsvoll und einen
hohen Standard gewohnt. Vincent versprach sein Bestes, zog sich an, wie von der
Agentur vorgeschlagen, sportlich-lässig, trug das gewünschte Parfüm auf
(Kundinnen konnten aus fünf Marken wählen, wenn sie Wert darauf legten), danach
fuhr er mit der U-Bahn zur Arbeit. Sicherheitshalber, obwohl er erst
neunundzwanzig war, schluckte er vorher eine Vierteltablette Levitra, über die
Attraktivität der Dame hatte ihm die Agentur nämlich nichts mitgeteilt. Mit der
Potenzpille fühlte er sich selbstbewußt und allen Anforderungen gewachsen,
selbst wenn ihn ein Walroß erwarten würde. In der U-Bahn hörte er, wie ein
junges Punker-Paar sich unterhielt, am anderen Ende des Abteils.
    Er konnte nicht genau verstehen, was sie sagten, nur als das Mädchen
rief: »Du Arsch, halt jetze bloß dein dummes Maul!«, spitzte er die Ohren. Beim
Verlassen des Waggons nutzte er die Gelegenheit und sah sich das Pärchen von
nahem an. Der Kerl hielt ein blutgetränktes Tempo vorm Mund und das Mädel sah
irgendwie angewidert drein. »Waf glotftn fo?« rief das Milchgesicht ihm
hinterher.
    Nun besaßen sie beide einen Grund, den ärztlichen Notdienst
aufzusuchen. Sibylle wegen des Rezeptes für die Pille danach, Holger, um sich
wegen der beiden Rattenbisse versorgen zu lassen. Seine Wunden wurden
desinfiziert, zusätzlich bekam er präventiv Antibiotika. Zum Glück war er
beizeiten gegen Tetanus geimpft worden. Obgleich er sich dessen schämte. Ein
Punk, der gegen Tetanus geimpft war, konnte kein echter Punk sein. Holger
erwartete in jedem Moment einen bösen Spruch, aber Sibylle schien über Takt zu
verfügen, sie thematisierte jene Tetanus-Impfung mit keiner Silbe, als sei das
eine hinzunehmende Selbstverständlichkeit oder Jugendsünde, über die man gar
nicht weiter nachzudenken brauchte. Holger liebte sie dafür nur um so mehr. Er
zog ihr den rechten Schuh aus und küßte ihren Fuß, sie dachte: Was ist das denn
nun wieder? Es kitzelte.
    Aber es gefiel ihr auch. Irgendwie. Bei der
Sonntagsnotdienstapotheke am Oranienplatz lösten sie das Rezept ein. Sibylle
schluckte, was der Apotheker ihr gab, mit einem Becher Wasser, und Holger
meinte, sehr traurig, gar verzweifelt tuend, da gehe sie nun hin, die Frucht
ihrer Leiber, den letzten Weg allen Seins. Sibylle war verwirrt. Der Kerl hatte
offensichtlich einen Knall, aber naja. So was wie er war schwerlich von
irgendwem auszudenken. Den mußte man behalten oder unter Denkmalschutz stellen.
    Vincent klingelte an der Tür im dritten Stock eines
aufwendig sanierten Acht-Parteien-Wohnhauses, das noch aus der Belle Époque
stammen mußte. Die Frau, die ihm öffnete, war schlank, gutaussehend, blond. Sie
musterte ihn ebenso erleichtert, zwinkerte ihm zu. Vincent trug eine
naturschwarze Igelfrisur, wirkte durchtrainiert, war etwas größer als Julia
und, wie sich später herausstellte, am ganzen Körper wachsrasiert. Er ließ ein
Kompliment fallen über die tolle Wohnung mit ihrer vier Meter hohen
stuckverzierten Decke.
    »Was zu trinken?«
    »Nicht nötig.«
    »Wie Sie wollen. Das Schlafzimmer liegt am Ende des Flurs rechts.
Hat Ihnen die Agentur gesagt, was ich bevorzuge?«
    »Nicht genau. Es mußte alles ein wenig schnell gehen.«
    »Naja. Ich habe auch keine besonders ausgefallenen Wünsche. Sind Sie
beschnitten?«
    »Ja.«
    »Darf ich mal sehen? Gut. Sehr gut. Also, ich möchte zuerst geleckt
werden. Sobald ich gekommen bin, tun Sie so, als hielten Sie es nicht mehr aus,
und ficken mich, egal, was ich sage. Beim

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