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Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Titel: Einschlafbuch Fuer Hochbegabte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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beklommen und verzagt wie ein allein gelassenes Kind«. Der eiserne Kanzler sehnte sich nach Zuspruch und Trost. Sein Sekretär meinte, den Grund zu kennen: »Sobald er das Licht gelöscht hatte, trat ihm vor Augen, was er unerledigt gelassen; auch konnte er nicht anders, als sich vorstellen, was alles Schlimmes passieren mochte.«
    Das kennen wir. Oder so ähnlich. Bei Dunkelheit tauchen unangenehme Erwägungen auf, die der Tag verdeckte. Eben noch gemütlich ins Bett gekuschelt, ein heiteres Buch gelesen, angenehm müde geworden, Licht ausgemacht, ein letztes Mal geräkelt, Augen zu, da treiben schon die ersten heiklen Vorstellungen heran.
    Was tat in so einem Fall der schlaflose Fürst? Er machte Licht. Falls das Herandrängen der Sorgen sich nicht abwehren ließ (und der Versuch des Abwehrens stärkt sie noch), entzündete er die Petroleumlampe. Er stemmte sich seufzend hoch, schlurfte zum Ohrensessel und – gönnte sich eine Zigarre. Wundersame Wirkung! Die im flackernden Licht aufsteigenden Wölkchen, ihr schwebendes Zerfließen, beruhigten das kummervolle Gemüt. Das Paffen war eine Weise der Meditation. Eine halbe Zigarre genügte; dann übermannte den Eisernen der Schlaf, oft noch im Sessel.
    Wer sich viel vorstellen kann, kann sich auch viel Erschreckendes vorstellen, stellte der Prager Schriftsteller Leo Perutz fest. »Die Quelle der Imaginationskraft ist zugleich die Quelle der Furcht.« Und weil der Fluss der Bilder und Gedanken bei Nacht schwerer einzudämmen ist als bei Tag, zog der phantasiegeplagte Perutz es vor, bei Nacht zu arbeiten und bei Tag zu schlafen. Viele Künstler halten es so. Das Bändigen des Ungewollten kann nur durch den Verstand geschehen; und der herrscht bei Licht und Tag unangefochtener als in Dunkel und Nacht.
    Sind die alten Mythen wahr, denen zufolge in der Dämmerung, beim allmählichen Aufsteigen der Nacht, die Wesen der Unterwelt aus ihren Verstecken kriechen? Doch, ja, aus tiefenpsychologischer Sicht ist es so. Der Griff des Rationalen, des Ich, lockert sich mit Dämmerung und Müdigkeit. Was unter der zerbrechlichen Fläche des Ich liegt und was Freud schön unfassbar »Es« genannt hat, das gewinnt nun an Macht. Dazu gehört alles, was Furcht einflößt. Ob es sich real unterm Bett hervorschlängelt oder nur in die Vorstellung schleicht, macht bei einer kraftvollen Phantasie keinen Unterschied.
    Die Schauspielerin Jennifer Love Hewitt, die im Fernsehen jahrelang als »Ghost Whisperer« souverän mit den Wesen der Zwischenwelt umging, fürchtet im richtigen Leben die Schattengestalten. Sie schlafe nie ohne Licht, vertraute sie interessierten Zuschauern an. Und zur Rechtfertigung verwies sie auf eine Heilige, der es trotz tiefen Glaubens nicht besser ging: Teresa von Avila. Diese mystisch begabte Nonne fühlte sich bei Einbruch der Nacht trotz inbrünstiger Gebete von den guten Geistern verlassen und wähnte die bösen heranrobben. Zum Einschlafen ließ sie eine Kerze unter dem Bild ihres Gurus brennen, des Herrn Jesus, und achtete überdies darauf, dass die Glocke der Abteikirche regelmäßig geläutet wurde. »Das himmlische Tönen ist das wirksamste Mittel gegen die Einflüsterungen des Dunkels.«
    Wir merken uns: Licht, Zigarren, Glockenklang. Falls kein Kirchturm mit bestechlichem Küster in der Nähe ist, tut es auch digitalisiertes Läuten. Zahlreiche Downloads sind mittlerweile verfügbar, sogar aus dem originalen Karmeliterinnen-Kloster in Avila, dessen Glocken für Teresa die Höllenvisionen vertrieben. Einiges von dem, was die Heilige in Schrecken versetzte, brachte sie übrigens in fliegenden Schriftzügen zu Papier. Das ist eine weitere Möglichkeit, nächtlicher Ängste Herr zu werden.
    Obendrein eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Den mittellosen irischen Autor Abraham Stoker umflatterten vor gut hundert Jahren schwärzeste Ahnungen; an Schlaf war erst im Morgengrauen zu denken. Schließlich beschloss er, freiwillig wach zu bleiben. Der Verbrauch an Talglichtern im Hause Stoker stieg, während Abraham, genannt Bram, sich nächtens die Furcht vom Leibe schrieb. Er ersann eine Figur, die wie er selbst Angst hatte – nicht jedoch vor Sonnenuntergang und Dunkelheit, sondern vor Morgendämmerung und Tageslicht: den Grafen Dracula und seine Sippe. Geniale Umkehrung! Leider gibt es diese Geschichte nun schon. Vielleicht können wir aus unseren schwarzen Ängsten etwas anderes basteln.
    Bangnis beim Einschlafen zeugt jedenfalls von Einfallskraft und

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