Einschlafbuch Fuer Hochbegabte
Gefühl hat, viel Unerledigtes zurückzulassen, geht beklommen zu Bett. Eine subtile muskuläre Anspannung verflacht die Atmung und verringert die Sauerstoffaufnahme, und das, so unromantisch es klingt, reicht bereits für düstere Ahnungen beim Einschlafen. Das ehemals belächelte Einschlafrezept der Dorothea Erxleben, Deutschlands erster Ärztin vor zweihundertfünfzig Jahren, ist von den Forschern wiederentdeckt worden: eine Hand auf den Bauch legen, die andere auf die Brust. Das entspannt die Atmung und den ganzen Körper. Es beruhigt.
Bei denjenigen jedoch, die sich bei Schlaflosigkeit aufraffen und Küchenschränke auswischen oder unaufgeräumte Schubladen durchsehen, die wie Regisseur James Cameron ihre Regale durchforsten und Bücher aussortieren oder die sich mit schwarz umränderten Augen an ihre Steuererklärung machen wie die Schauspielerin Emma Thompson – bei denen sind keine weiteren Entspannungstechniken nötig. Sie sinken irgendwann vollkommen furchtlos ins Bett. Voll von dem, was die Einstein-Forscher eben »verdiente Müdigkeit« nennen.
Mit Kindern singt man; das harmonisiert und bannt Gespenster. Als die Sopranistin Birgit Nilsson dieses sympathische Rezept aufgriff, wurden indes ihre Nachbarn von Schlaflosigkeit befallen. Es gibt jedoch eine Art stillen Gesang, der einen ähnlichen Effekt hat und den ein ruhmreicher Philosoph kultivierte: Reime schmieden. Wenn der Partner es zulässt, gern murmelnd.
Es war Karl Marx, der bei Kerzenlicht beseelte Verse ersann. Unter den Schlaflosen kommt diesem Denker Expertenstatus zu. Als Workaholic hatte er sich am Ende eines Tages die Müdigkeit wohl verdient. Doch die rein intellektuelle Tätigkeit hielt das Schwungrad in Gang. Sorgen um die Kinder und um das materielle Auskommen suchten den Meister heim, sobald er die Augen schloss.
Mit der Zeit ersann er originelle Abhilfen. Er stand auf und kämmte bei dämmeriger Beleuchtung stundenlang seinen Bart, er flocht und pflegte ihn. Das war eine kontemplative Tätigkeit, dem Schäfchenzählen nah verwandt. Dann setzte er sich an den Küchentisch – fern vom überladenen Schreibtisch –, um Schönschreibübungen zu machen. Auch das war eine Art Meditation und obendrein von Nutzen. Ehefrau Jenny, die seine Werke abschrieb, freute sich über wachsende Lesbarkeit.
Und schließlich widmete er sich der Lyrik. Nicht so sehr lesend, wie seine spätere Bewunderin Marilyn Monroe. Sondern selbst reimend. Das Drechseln an lyrischen Bildern und Versen schuf den Ausgleich zur theoretischen Gedankenwelt seiner Arbeit. Und weil beim Einschlafen alle gleich sind, taugt dieses Rezept für Marxisten und Nicht-Marxisten gleichermaßen. Die fühlbaren Sprachbilder der Gedichte, ihr Rhythmus und Reim harmonisieren den Geist und den Körper. Das schafft Gelassenheit. Weltanschauungen lösen sich auf. Das Kümmern um die Welt verschwindet. Alles ist gereimt.
Unruhige Partner von Alfred Hitchcock bis Tony Curtis
»Nichts stört beim Einschlafen so sehr wie die Nähe eines Partners«, behauptete frech und ungestraft Alfred Hitchcock. Der Regisseur war ein Verehrer der Frauen, vornehmlich der blondierten, und die eine oder andere durfte zuweilen bei ihm nächtigen. Allzu lange sollte jedoch keine bleiben. Der Meister der Albträume schlief am liebsten allein. Und Frauen, die ihn bei Nacht kennenlernten, bevorzugten nach kurzer Probe ihrerseits ein separates Gemach. Hitchcock gehörte zu den phonstärksten Schnarchern der Kinogeschichte. Für Betroffene reichte es nicht, ins Nachbarzimmer umzuziehen. Es musste wenigstens das benachbarte Haus sein, besser noch ein anderes Stadtviertel.
Gewöhnlich legen Männer mehr Wert darauf als Frauen, allein in ihrer Burg zu schlummern. Frauen ist das Beisammensein wichtiger, nicht immer, aber meistens. Eher als umgekehrt arrangieren sie sich mit den Schlafgewohnheiten ihrer Partner. Sie nehmen Wälzen, Schnarchen, Prusten, Schwitzen, Schnaufen in Kauf. Bei Männern, denen Nähe ohnehin suspekt ist, ist die Toleranzschwelle niedriger.
Giacomo Casanovas Beschwerden haben maskuline Allgemeingültigkeit. In seinen Memoiren listet der Edelmann auf, welchen weiblichen Schlafgewohnheiten er sich ausgesetzt fand. Da gab es Frauen, die in den Schlaf gewiegt werden wollten, obgleich der Meister bereits erschöpft war. Andere, die ausgiebig zu reden wünschten und ihn stupsten, sobald seine Atemzüge verdächtig gleichmäßig wurden. Es gab Bauernmägde, die im Schlaf »auskeilten wie junge
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