Einst herrschten Elfen
Beendigung der Krise vielleicht näher. Wir müssen die Linien wieder unter einer geachteten Autorität zusammenführen. Da so viele nicht mehr da sind, sollte Llyron die Führung übernehmen.«
Telian zögerte einen Moment. »Außerhalb der Tage, an denen Andachten stattfinden, gewährt Llyron gewöhnlich keine Privataudienzen.«
Pelyn spreizte die Finger. »Du weißt, wie meine Antwort darauf lauten muss. Telian, ich muss unbedingt mit ihr sprechen. Die Stadt ist zerrissen, aber es besteht noch Hoffnung, die Ordnung wiederherzustellen. Dies wird sie doch sicher hören wollen.«
Telian lächelte. »Das will sie gewiss. Kommt mit. Ich kann euch nichts versprechen, aber ich werde mich darum bemühen, dass sie euch empfängt, sofern ihr sicher seid, dass ihr dies wirklich wollt.«
»Aber natürlich.« Pelyn war verwirrt. »Warum sollte ich es nicht wollen?«
»Im Augenblick ist Gewissheit wichtiger als alles andere. Das dürfen wir nicht vergessen.«
Pelyn entschied sich, nicht zu antworten, weil sie nicht wusste, was sie von dieser unverständlichen Bemerkung halten sollte. So winkte sie Telian vorauszugehen. Die Priesterin des Shorth umrundete den Altar auf der rechten Seite, verneigte sich vor dem Thron und hielt auf den rechten Arm des Tempels zu.
Dort lebten und arbeiteten die Priester und Gäste des Tempels, wenn sie nicht im Hauptraum gebraucht wurden. Sie entwickelten neue Operationsmethoden und Heilmethoden für mehr Gebrechen, als Pelyn überhaupt dem Namen nach kannte, arbeiteten an den Schriften und vervollkommneten ihre Fähigkeiten, um die Seelen so gut wie möglich auf der Reise in Shorths Umarmung zu begleiten.
So paradox es schien, Shorths Jünger waren einerseits jederzeit bereit, den Toten Hilfe zu gewähren und den Trauernden Trost zu spenden, und bemühten sich andererseits doch sehr, das Leben jedes Einzelnen zu verlängern. Llyron hatte einmal im Scherz gesagt, ihre wichtigste Aufgabe bestehe darin, sich selbst überflüssig zu machen. Sie war die einzige Ynissul im ganzen Orden und überraschend ernannt worden, nachdem vier Jahre zuvor die Vorgängerin, eine Beethan, verstorben war. Jarinn hatte von ihrer Ernennung gewusst, wenngleich nicht von den vielen anderen, die Lorius’ Zorn erregt hatten.
Telian führte sie an hell gestrichenen Wänden vorbei, an denen Wandteppiche mit vielen Darstellungen von Shorths Ruhm hingen. Andere Motive waren der Frieden und die Schönheit des Todes oder großartige Bilder aus den Hallen der Alten. Der Arm des Tempels war dagegen viel schlichter. Wer Shorths Werk verrichtete, durfte sich nicht ablenken lassen. Balken und Stein waren ungeschmückt, und die Türen vor den Zellen, Kammern, Archivräumen und Laboratorien waren aus schlichtem Holz oder Metall.
Die Luft war kühl, im Tempel herrschte trotz der schwierigen Aufgaben seiner Bewohner eine tiefe Stille. In diesem Arm war Pelyn noch nie gewesen, bisher hatte sie nur den linken aufgesucht, wo die Toten abgelegt wurden, um den Segen zu empfangen und für die letzte Reise zum Heiligtum der Rückführung angekleidet zu werden. Heute waren die Kammern der Einkehr sicher stark belegt.
Telian führte sie zu einer Tür, die sich fast am Ende des Arms befand. Dahinter gab es nur noch einen Nebenausgang zum Platz.
»Wartet hier.«
Telian öffnete die Tür, in die Shorths alles umfassendes Symbol eingraviert war, ging hinein und zog hinter sich die Tür zu. Wie die Unterhaltung auch verlief, sie war jedenfalls sehr kurz. Die Tür ging wieder auf, Telian winkte sie herein und ließ die drei Al-Arynaar mit Llyron, der Hohepriesterin Shorths, allein.
Llyron saß hinter einem breiten Schreibtisch aus Holz, der völlig mit Pergamenten, Büchern und Schriften bedeckt war. Mit einem Vergrößerungsglas betrachtete sie einen Abschnitt, der mit zierlichen, verblassten Bildern ausgeschmückt war.
»So ein wundervolles Werk«, erklärte Llyron. »Ihr solltet euch diesen Text ansehen. Ich bin sicher, dass ihr noch viel Zeit dazu habt, ehe ihr fortgeht.«
Sie hob den Kopf und schenkte den Besuchern ein strahlendes Lächeln. Die Augen funkelten, und sofort schien es in dem kühlen, strengen Raum etwas wärmer zu werden. Llyron war eine außergewöhnlich große Ynissul mit einem weichen Gesicht, das nicht dem typischen Äußeren ihrer Linie entsprach. Die Ohren waren winzig und lagen flach am Kopf, die Nase war schmal und lang, die Augen nicht ganz so schräg wie bei den anderen Angehörigen ihrer Linie. Sie war
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