Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Quartblattes vollständig mitteilen läßt.« Kirchhoff hat das gesagt und die Probe dafür, wenn auch nicht buchstäblich, so doch ausreichend geliefert. Als er und Bunsen die erste Veröffentlichung über die Spektralanalyse hinaussandten, gaben sie der Publikation die knappe Form auf drei Druckseiten.
Wie nun aber, wenn die neue Wahrheit sich auf einem sehr weitschichtigen Material aufbaut? Wenn sie sehr viel Kettenglieder der Einsicht bedingt, von denen keines zum Verständnis entbehrt werden kann? Müßte auch dann die Kirchhoffsche Quartseite genügen?
Allerdings, meinte Einstein; vorausgesetzt natürlich, daß sie sich an einen Leser wendet, der bereits das Vorhergehende beherrscht; dem die älteren Tatsachen soweit vertraut sind, daß er nur noch das wirklich Neue der neuen Wahrheit zu erfahren hat.
Das klingt sehr erfreulich, versetzte ich; denn danach müßte es ja auch möglich sein, die Relativitätstheorie in aller Kürze darzustellen.
– Sagen wir: deren Grundzüge, den Wesenskern der Sache. Präparieren Sie also ihr Kirchhoffsches Quartblatt. Wir wollen sehen, ob wir darauf mit der Speziellen Relativitätstheorie fertig werden:
Die Gesamtheit der Erfahrungen zwingt zur Annahme der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im leeren Raum. Die Gesamtheit der Erfahrungen auf optischem Gebiet zwingt aber auch zur Feststellung der Gleichwertigkeit aller Inertialsysteme, das heißt, aller Bezugsysteme, die aus einem berechtigten durch gleichförmige Translation hervorgehen. Berechtigt ist ein System, für welches der Galileische Trägheitssatz gilt. (Der Satz besagt, daß ein sich selbst überlassener bewegter Körper seine Richtung und Geschwindigkeit dauernd beibehält.)
Nun scheint das Lichtausbreitungsgesetz im Widerspruch zu stehen zu dem Relativitätsprinzip, wonach die Geschwindigkeit eines Strahles im bewegten System je nach der Richtung des Strahls verschiedene Werte annimmt.
Diese – scheinbare – Unvereinbarkeit beruht auf folgenden unbewiesenen Prämissen:
a) Wenn zwei Ereignisse gleichzeitig sind inbezug auf ein Inertialsystem, so sind sie auch gleichzeitig in bezug auf jedes andere Inertialsystem.
b) Die Ausdehnung eines Maßstabes, die Gestalt und Größeeines starren Körpers und die Ganggeschwindigkeit einer Uhr sind unabhängig von ihrer (gradlinigen, drehungsfreien) Bewegung gegenüber dem benützten Bezugsystem.
Diese Prämissen müssen fallen, damit jene Unstimmigkeit verschwindet. Ersetzt man die unbewiesenen Prämissen durch die Voraussetzung der Gleichwertigkeit aller Inertialsysteme in Verbindung mit der Voraussetzung, daß die Geschwindigkeit eines Vakuum-Lichtstrahls konstant ist, so ergibt sich
erstens: das Verhalten der Maßstäbe und Uhren ist funktionell abhängig von der Bewegung;
zweitens: die Bewegungsgleichungen von Newton bedürfen einer Modifikation und sie liefern dann Resultate, die für rasche Bewegungen von den Newtonschen wesentlich abweichen.
Dies ist in gedrängtester Darstellung der Sinn der Speziellen Relativitätstheorie.
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Da das Quartblatt noch Raum gewährt, möge eine Betrachtung angefügt werden, welche die oben erwähnte scheinbare Unstimmigkeit ein klein wenig ausführlicher erörtern soll.
Wir wählen als Bezugsystem einen Schnellzug von 10 Kilometern Länge. Ganz vorn im Zuge sitzt der Reisende Herr Vordermann, ganz am Schluß der Reisende Herr Hintermann, beide haben also zwischen sich eine feste Distanz von 10 Kilometern. Die Waggons sind durchsichtig, so daß die Personen untereinander Signale austauschen können. Sie sind zudem mit ideal gleichlaufenden Uhren ausgerüstet.
Zuerst soll der Zug stillstehen. Hintermann hat den Kilometerstein Nr. 100 zur Seite, Vordermann mithin den Kilometerstein Nr. 110. Hintermann signalisiert durch ein Blitzlicht seine Uhrstellung, Punkt 12 Uhr. Das Licht braucht für die Strecke von 10 Kilometern genau 1 / 30 000 Sekunde, trifft also bei Vordermann um 12 Uhr 1 / 30 000 Sekunde ein; ganz ebenso würde es sich verhalten haben, wenn Vordermann dem Hintermann seine Zeit signalisiert hätte. Das Licht macht in seinem Wege für Hin und Zurück keinen Unterschied. Befindet sich der Bahnzug in rascher Fahrt, so können die beiden Reisenden das nämliche Experiment machen, als wenn der Zug stillstünde. Sie werden dann die Zeit, die der Lichtstahl von Hintermann zu Vordermann braucht, der Zeit für den umgekehrten Weg gleichsetzen. Aber vom Gleis aus gesehen würde sich die Beurteilung desselben Vorgangs
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