Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
ergäbe: Man hat es sich nach den Forschungen von Rutherford und Niels Bohr wie ein Planetensystem vorzustellen.
Als Zentralkörper dieses Systems tritt ein positiv-elektrisch geladener Kern auf, der fast die ganze Masse des Atoms ausmacht, umgeben von einer gewissen Zahl negativ geladener Elektronen, die sich in regelmäßigen, kreisförmigen (oder elliptischen) Bahnen um den Kern bewegen. Es liegt also eine gewisse Analogie vor, die uns gestattet, den Kern als die Sonne, die Elektronen als die Planeten dieses Systems anzusehen.
Deren Anzahl schwankt in den Grenzen von 1 bis 92, je nach der chemischen Beschaffenheit des Elementes. Die geringste Zahl findet sich beim Helium (2) und beim Wasserstoff-Atom, bei dem nur ein einziger Elektron-Planet seine kreisförmige Bahn um den Kern beschreibt. In anderen Atomen treten höchstwahrscheinlich kompliziertere, wenn auch mehr oder minder kreisähnliche Bahnen auf. Die Anordnung der Elektronen ist nach dieser noch sehr jungen, aber durch ein außerordentlich starkes Tatsachenmaterial gestützten Theorie in konzentrischen Schalen (Zwiebelschalen) vorzustellen; wobei der äußersten Schale insofern eine bevorzugte Rolle zufällt, als die Zahl der in ihr angeordneten Elektronen für den chemischen Charakter maßgebend ist. Es kommt vor, daß Elektronen durch äußere Einwirkung von einer Bahn auf eine andere überspringen, dann erfolgt beim Zurückspringen Lichtemission. Als eine wesentliche Tatsache ist festzustellen: Während in einem der Sternwelt angehörenden Planetensystem beliebig viele Bahnen mit beliebigen Radien liegen können, unterliegt die Mannigfaltigkeit innerhalb des Atoms einer Beschränkung: es sind nur gewisse Bahnen möglich, welche durch die sogenannte Quantenbedingung rechnerisch bestimmt werden.
Ließe sich wohl, unterbrach ich, die ganze Analogie umkehren? Wenn das Atom sich im Modell zu einem Planetensystem erweitet, so müßte es eigentlich auch erlaubt sein, unser wirklichesPlanetensystem als ein kosmisches Atom aufzufassen; und nachdem man sich längst damit abgefunden hat, unsere Erde die Rolle eines Staubkorns spielen zu lassen, wäre es dann auch mit der Sonnenherrlichkeit vorbei. Die ganze Majestät bis zur Neptunbahn schrumpfte dann zu einem Gebilde zusammen, gegen welches ein Staubkorn immer noch als ein Koloss erschiene.
Bis zu einem gewissen Grade mag diese gedankenspielerische Umkehrung gestattet werden, sagte Einstein. Nur wird man sich dabei vorhalten müssen, daß da immer noch ein Kardinalunterschied obwaltet. Sieht man selbst von den unvergleichlichen Größenverhältnissen ab, so wird doch die Analogie dadurch sehr eingeengt, daß das Atom nur ein Baustein ist, das wirkliche Planetensystem aber ein ungeheuer komplizierter Bau. Der Unterschied zwischen einfach und höchst mannigfaltig bleibt demnach bestehen.
Aber, Herr Professor, eine solche Kompliziertheit könnte doch weiterhin auch noch im Atom herausgefunden werden? Von der Urvorstellung bis zu den planetenartig kreisenden Elektronen ist vielleicht nur ein Erkenntnisschritt. Dürfte man da nicht vermuten, daß sich Schritt auf Schritt ein wahrer Regressus in infinitum entwickeln kann?
Das erscheint durchaus unwahrscheinlich, erwiderte er, wenngleich die Strukturerforschung natürlich nicht haltmacht. Sie erblickt vorerst das weitere Ziel: herauszufinden, woran es liegt, daß gewisse Atome radioaktiv sind, das heißt, eine Zerfallstendenz aufweisen. Schon heute ist festgestellt, daß diese Tendenz eine Eigenschaft des noch wenig erforschten Kernes darstellt. Das will sagen, der Kern ist nicht einfach, ohne darum die Aussicht auf einen nie zu erschöpfenden Regressus zu bieten. Es gilt Klarheit zu gewinnen über die Konstituierung des Kernes aus positiven und negativen Ladungen, und es ist meine Überzeugung, so schloß er, daß es darüber hinaus eine weitere Unterteilung der Materie nicht gibt. –
Wenn der Dichter von dem ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht redet, so schwingt unter dem schönen Wort der elegische Verzicht auf die Erreichbarkeit eines Allereinfachsten, Allerletzten. Einsteins Eröffnung, sofern ich sie richtig deute, verwandelt diesen Verzicht in eine stolze Hoffnung. Hat die Unterteilung der Materie irgendwo ein Ende, so stehen wir hart an der Schwelle zu den letzten Dingen, zu dem ruhenden Pol, der gefunden werden kann.
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»Jede neue wissenschaftliche Wahrheit muß so beschaffen sein, daß sie sich in gewöhnlicher Schrift auf dem Raum eines
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