Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
Vom Netzwerk:
mindesten im unbelichteten Sehfelde des Pythagoras, das sich eines Tages beleuchtete, als er das Zahlenverhältnis 3 – 4 – 5 so ins Auge faßte, daß ein »Intueri«, ein genaues Anschauen zustande kommen konnte. Es ist irrig, anzunehmen, daß ihm ein Schöpferakt plötzlich die Figur mit den drei nach außen geklappten Quadraten vor die Seele zauberte. Er entwickelte vielmehr »schrittweise« (wie wir aus Vitruvius wissen), aus einem nach bestimmten Maßzahlen aufgebauten Dreieck; und der bekannte Beweis, der uns als unabtrennlich von seinem Akt vorschwebt, ist gar nicht von ihm, sondern von Euklid. Aber die Chronologie verblaßt, die Jahrhunderte werden übersprungen, und das Diplom mit dem Titel des Schöpfers verbleibt bei dem Mann, der zuerst solch ein Dreieck klar anzuschauen vermochte.
    Es liegt nahe, das Entdeckertum am Experiment zu prüfen, und das erste, was sich dabei ergibt, ist das Auftreten eines sehr merkwürdigen Tempos in der Entwickelung des intuitiven Verfahrens. Die Intuition des Altertums hatte, wie es scheint, kaum das Bedürfnis, sich am Experiment zu bewahrheiten, das allermeiste, was Archimedes auf mechanischem, die Pythagoreer auf akustischem, Euklid auf optischem Gebiete fanden, läßt sich beinahe auf die Formel des »Heureka« zurückführen; und man übertreibt wohl nicht, wenn man aussagt, daß heutzutage in einer Woche mehr und fruchtbarer experimentiert wird, als in aller Vorzeit zusammengenommen.* Das Experiment ist, wenn auch nicht zum alleinigen, so doch zum deutlichsten Prüfstein der Intuition geworden. Ich brauche nur an die Beobachtungen der Sonnenfinsternis von 1919 zu erinnern, welche experimentalen Charakter trugen, insofern sie die Natur mit Apparaten befragten. Für die Welt brachten sie die unwiderlegliche Bestätigung der Einstein'schen Gravitationslehre, nicht für Einstein selbst, dessen Intuition in ihrer Selbstgewißheit dem Experimente nichts anderes übrig gelassen hatte, als eben die blanke Bestätigung.
    * Neuerdings versuchen gewisse Begriffsspalter, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Wirklichkeits-, Experimental-Physikern und »Kreide-Physikern« zu konstruieren. So nennen sie spöttisch die Theoretiker, weil diese ihrer Meinung nach die Natur ausschließlich durch Formeln, mit der Kreide an der Tafel, ergründen wollen. Die Geschichte der Wissenschaft kennt diesen Unterschied nicht, wenngleich es natürlich vorkommen könnte, daß ein Physiker fernab von jedem Experiment Bedeutsames erschlösse.
    Eher ließe sich behaupten, daß der große Theoretiker nicht notwendig ein großer Experimentator zu sein braucht, und umgekehrt. Aber ich wüßte kein Beispiel dafür, daß der Theoretiker sich einseitig auf die Kreide versteift und die Versuchsarbeit prinzipiell verleugnet.
    Ich bemerke hierzu, daß Einstein selbst gern experimentiert und sich als erfahrener Experimentator erfolgreich betätigt hat. Zahlreich sind zudem die Anregungen und Ratschläge, die er anderen Arbeitern auf diesem Felde gegeben hat und dauernd erteilt. Er nimmt aber die eigentliche Routine nicht für sich in Anspruch und weist darauf hin, daß er sich für gewisse reale Ausführungen auf fremde Hilfe angewiesen sieht. Es gibt spezifische Experimentiergenies, deren Tätigkeit sich am schönsten und ersprießlichsten gestaltet, wenn sie die des Theoretikers sowohl ergänzt, wie befruchtet.
    Aber das ist nicht der Normalfall. Und bei vielfachen Untersuchungen tritt die Intuition des Forschers an das Experiment wie an eine Instanz mit ausgedehnter Vollmacht, zu bewahrheiten, zu verwerfen oder zu berichtigen.
    Greifen wir einige Beispiele heraus, um die Stärke und den Wert der Intuition am experimentellen Ergebnis zu messen. Benjamin Franklins Drachenexperiment möchte als ein klassischer Fall erscheinen. Da ist ein Mann, in dessen Kopf sich die Vorstellung gebiert: Gewitter und elektrischer Vorgang ist ein und dasselbe. Unzählige neben und vor ihm hätten auf denselben Gedanken verfallen können, der nun schon längst zu den Weisheiten der Kinderstube gehört. Aber nein, ein Einzelner mußte kommen, der die vorgebildete Sache gewahr wurde und der auch sofort die Methode ersann, die zum Beweise führen mußte. Er baute 1752 einen Drachen, ließ ihn bei Gewitterluft in die Wolken steigen, fing unten an metallener Handhabe die Funken auf, und, wie d'Alembert in der französischen Akademie so eindringlich sagte:
    »Eripuit coelo fulmen ...«
    Er entriß dem Himmel den Blitz, Jupiter

Weitere Kostenlose Bücher