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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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daß Einstein durchaus nicht abgeneigt ist, gewisse rein gedankliche Arbeiten, die man sonst dem Gebiet der wissenschaftlichen Entdeckung einordnet, als Kunstwerke anzusprechen. Nun aber scheint bei diesen das reine Erfinden obenan zu stehen, denn in ihnen wird doch etwas dargestellt, was vordem noch gar nicht vorhanden war; was schon wiederholt dazu geführt hat, der künstlerischen Tat den höheren Rang, das eigentlich und ausschließlich Schöpferische zuzuweisen. Etwa mit dem Argument: die Infinitesimalrechnung wäre ganz sicher auch ohne Newton und Leibniz gekommen, aber ohne Beethoven hätten wir keine C-moll-Symphonie, und niemals in aller Zukunft könnte sie zutage treten, wenn sie nicht ihr Schöpfer als ein Einziges, Urerschaffenes hingestellt hätte.
    Ich glaube, man kann dies zugeben und trotzdem die Ansicht vertreten, daß auch im Kunstwerk die Tätigkeit des Entdeckers anzutreffen ist. Nehmen wir das Grundmaterial des ersten Satzes jener fünften Symphonie, eines Kolossalsatzes von 500 Takten, das sich ganz präzise in vier Noten ausspricht, von denen die eine, das G, dreimal identisch auftritt. »So pocht das Schicksal an die Pforte« lautet Beethovens Motto, tonal ausgedrückt in einer Kombination, die längst, ja von Ewigkeit her, in den möglichen permutativen Anordnungen der Klänge vorhanden war.
    Beethoven, so sagt man, hat sie erfunden. Aber es ist genau so richtig, zu sagen – ich benutze Einsteins Worte –: »er wurde gewahr, was schon an sich fertig vorgebildet vorlag« – also hat er das Grundthema »entdeckt«, um es nachher in einer methodischen Durchführung von unerhörter Schönheit musiklogisch zu »beweisen«. Ja, man kann noch weitergehn. Jenes viertonigeMotiv lag nicht nur als Abstraktum, als ein in mathematischer Ordnung Eingelagertes vor, sondern als etwas Natürliches. Czerny, Beethovens Schüler, dem der Meister mancherlei über seine Werkentstehung vertraut hat, berichtet, ein Goldammer hätte Beethoven im Walde dieses Motiv zugetragen. Aber auch der Singvogel hat es nicht erfunden, überhaupt kein Lebewesen, sondern in einem klangempfindlichen Material hat sich objektiviert, was nie zu erschaffen war, weil es schon von jeher existierte. Beethoven hat es gefunden, es war res nullius, als er es fand, als er zugleich mit der Tonfolge deren Eignung für eine gewaltige musikalische Darstellung des dröhnenden Schicksals entdeckte. Jedes Thema, ob von Beethoven, Bach, Wagner oder sonst woher, läßt sich graphisch in einer Kurve abbilden (für Bach'sche Fugenthemen hat man dies sogar zu besonderen Zwecken ausgeführt), und so gewiß der Ellipsenbogen schon vor aller Geometrie existierte, so sicher läßt sich behaupten, alles Musikalische war vor der Komposition vorhanden, wartete auf den Entdecker, den wir als den Erfinder, als das schöpferische Ingenium bezeichnen.
    Könnte aber von hier aus nicht etwas zurückstrahlen auf die wissenschaftliche Entdeckung? Wenn wir im Höchstgrad der Bewunderung von einem Schöpferakt sprechen als von einem Göttlichen, das uns bemeistert, so dürfte man wohl auch dem Wissenschaftler zubilligen, was wir mit leiser Begriffsvermengung dem Künstler gewähren. Und ich glaube auch, daß Einsteins Definition in dieser Hinsicht für unsere Schwärmerei keine unüberfliegbare Schranke bietet. Diese will um jeden Preis hinüber, mag nicht stehen bleiben vor der starren Tatsache, daß der Entdecker nur das Vorgebildete aufdeckt, und die Empfindung erweist sich als stärker, als der objektiv wertende Gedanke. Schließlich, so meinen wir, schafft doch auch der wissenschaftliche Entdecker etwas Neues, nämlich eine Erkenntnis, die zuvor nicht da war. Und wir gehorchen dem Bedürfnis des Heroenkultus, wenn wir einen bestimmten ersten Entdecker als einen Schöpfer bezeichnen.
    Womit freilich die Gegenrede sich nur zeitweilig bescheidet, ohne darum aus der Welt zu gehen. Denn auch die Erkenntnis lag schon parat, vor dem ersten Entdecker; er schuf nicht, sondern er zog nur einen Schleier fort, der die Erkenntnis verhüllte. Es bleibt also im letzten Grunde bei der »Intuition« , wörtlich zu verstehen, bei der Anschauung, bei dem genauen Betrachten der Dinge, Zustände und Zusammenhänge, und dieses eingehende, des Staunens volle Betrachten ist immer das Vorrecht sehr weniger Auserlesener gewesen.
    Man könnte fragen: existierte denn schon irgendeine Erkenntnis des pythagoreischen Lehrsatzes vor dem pythagoreischen Beweise? Und man müßte antworten: zum

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