Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Fresnel, setzt an Stelle der Ausschleuderung die Wellenbewegung. Also hier haben oder hatten wir, nach Duhem, zwei Hypothesen, als die einzigen, die überhaupt als möglich erscheinen. Das Experiment soll Antwort geben, und es entscheidet zunächst unwiderleglich für die Wellentheorie. Folglich besteht einzig die Erkenntnis des Huyghens zu Recht, die des Newton ist als Irrtum entlarvt, ein Drittes gibt es nicht, das Experimentum crucis steht in absoluter Sicherheit vor uns.
Der Ausdruck stammt aus Bacon's »Novum organon«. Er enthält nicht, wie Duhem voraussetzt, den Hinweis auf ein Kreuz an der Straße, das die verschiedenen Wege anzeigt, ebensowenig hängt er mit »croix ou pile« (Kopf oder Schrift) zusammen. Vielmehr bedeutet Experimentum crucis eine Probe durch ein Gottesurteil am Kreuz, das heißt eine über jede Berufung erhabene, absolut entscheidende Erprobung. – Aber nein! ergänzt der nämliche Gelehrte: zwischen zwei kontradiktorischen Aussagen der Geometrie ist für ein drittes Urteil kein Platz, wohl aber zwischen zwei widersprechenden physikalischen Ansagen. Und tatsächlich ist dieses dritte hier aufgetreten in der Entdeckung Maxwells, der das Wesen des Lichts als in einem Vorgang periodischer elektro-magnetischer Störungen begründet nachgewiesen hat. Mithin, so schließt Duhem, läßt sich aus dem Experiment niemals die Alleingültigkeit einer Theorie erschließen; der Physiker ist niemals sicher, alle denkbaren Vorstellungsmöglichkeiten erschöpft zu haben. Die Wahrheit einer physikalischen Aussage, der Rechtsgrund einer Entdeckung, ist durch kein Experimentum crucis zu erhärten.
Hiernach wäre es also auch möglich, daß die wissenschaftliche Voraussetzung der Spektralanalyse nicht der Wahrheit entspräche. Es könnte sogar eine kontradiktorische Hypothese auftreten, und die nämlichen Experimente, welche scheinbar die Kirchhoff'sche Entdeckung von Sieg zu Sieg geführt haben, würden dann in ganz anderem Sinne interpretiert werden müssen.
Ich gestehe offen, daß ich mich zu einer so extremen Möglichkeit nicht entschließen kann, und zwar deswegen nicht, weil gerade das von Duhem herangezogene Gleichnis aus der Mathematik diese Möglichkeit meines Erachtens ausschließt. Denn wenn die Sicherheit sich hier durch Trillion zu eins ausdrückt, so wage ich zu behaupten, daß auch bei irgend welcher mathematischerWahrheit die Sicherheit keinen größeren Grad erreicht. Aus der Geschichte der Mathematik kennen wir Sätze, die mit allem Rüstzeug des Beweises auftraten und sich trotzdem nicht zu behaupten vermochten, so daß wir es auch bei anscheinender Evidenz immer nur mit einem sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad zu tun haben. Nehmen wir diesen nach unserer Denkgewohnheit für das absolut Gewisse, so dürfen wir auch die vereinigten Experimente im Gebiet der Spektralanalyse als ein großes Experimentum crucis für die unbedingte Richtigkeit der spektralanalytischen Lehre betrachten.
In weitem Abstand von ihr, aber doch mit ihr zusammenhängend, erscheint das »Periodische System der Elemente« als die Entdeckung von Mendelejew und Lothar Meyer. Auch sie umschloß prophetische Ausblicke in die Zukunft, sagte Unbekanntes voraus, deutete auf Dinge, die nur in der Vorstellung vorhanden waren, in einem Gedankenschema, das dem Unerforschten bestimmte Existenzstellen anwies.
Das Periodische System stellt sich dar als eine Tabelle mit Vertikal- und Horizontalreihen, in deren Linienfächern die Elemente nach gewissen, ihren Atomgewichten entsprechenden Regeln eingetragen werden. Die Entdeckung besagte theoretisch, daß die physikalischen und chemischen Eigenschaften, die das Element charakterisieren, genau das arithmetische Mittel zwischen den Eigenschaften der horizontalen und vertikalen Nachbarn darstellen. Und hieraus entwickelten sich Orakel, die in den vorläufig noch unbesetzten Linienfächern nisteten. Die leeren Kammern, die weißen Flecke auf der Tabelle fingen an, prophetisch zu reden: hier fehlen Elemente, die findbar sein müssen! Die Nachbarn werden sie verraten, die leere Stelle selbst zeigt den Weg zum Fund. Mendelejew vermochte mit detektivischem Scharfsinn anzusagen: es muß Elemente mit den Atomgewichten 44, 70 und 72 geben. Wir kennen sie noch nicht, aber wir sind in der Lage, diese Findlinge der Zukunft nach ihren Eigenschaften zu bestimmen, und mehr als das, nach den Eigenschaften ihrer Verbindungen mit andern Grundstoffen. Und die weitere Forschung hat tatsächlich in
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