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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Eichhörnchens. Man hat sie aus dem Käfig herausgeholt. Kriegte ihr La zurück. Aber sie redete nie. So mit acht, als klarwurde, daß die schöne Waise stumm war, ging ihr La futsch. Sie konnten sie nicht gut wieder in den Käfig sperren. Immerhin, sie war funktional, flocht Körbe, pflügte, eine erfahrene Jägerin mit den Bolas. Damals gab es diese ganzen Debatten ihretwegen.
    Lo Hawk bestand darauf: »Zu meiner Zeit waren La und Lo für total Normale reserviert. Wir sind sehr unbedacht gewesen, diesen Titel der Reinheit jedem Funktionalen zu verleihen, der zufällig das Mißgeschick hat, in dieser verwirrenden Zeit geboren zu werden.«
    Worauf La Dire antwortete: »Die Zeiten ändern sich, und es ist seit dreißig Jahren ein unausgesprochenes Präzedenzrecht, daß La und Lo jeder funktionalen Kreatur verliehen wird, die in dieser unserer neuen Heimat geboren wird. Die Frage ist nur, wie weit man die Definition der Funktionalität ausweitet. Ist die Fähigkeit der Verbalkommunikation die conditio sine qua non dafür? Sie ist doch intelligent, und sie lernt rasch und gründlich. Ich stimme für La Friza .«
    Das Mädchen saß am Feuer und spielte mit weißen Kieseln, während ihr Sozialstatus diskutiert wurde.
    »Der Anfang vom Ende, der Anfang vom Ende«, brummelte Lo Hawk. »Wir müssen doch einige Werte erhalten!«
    »Das Ende vom Anfang«, seufzte La Dire. »Alles muß sich wandeln.« Und das war ihr stereotyper Wortwechsel, solange ich zurückdenken konnte.
    Einmal – so geht die Legende – lange bevor ich auf die Welt kam, wurde Lo Hawk unzufrieden mit dem Leben im Dorf und ging fort. Gerüchte trafen ein: Er sei zu einem der Jupitermonde gegangen, um ein Metall auszugraben, das sich in blauen Adern durch das Gestein windet. Später: Er habe den Jupitersatelliten verlassen, um über eine dampfende See zu segeln, auf irgendeiner Welt, wo drei Sonnen seine Schatten auf das Auszugsdeck eines Schiffes, größer als unser ganzes Dorf, warfen. Noch später: Er sei gesichtet worden, wie er mit einer Mühle durch eine Substanz quirlte, die zu giftigem Rauch schmilzt, irgendwo so weit weg, wo es in den jahrelangen Nächten überhaupt keine Sterne mehr gab. Als er sieben Jahre fortgewesen war, hat La Dire offenbar beschlossen, es sei nun an der Zeit, daß er zurückkommt. Sie verließ das Dorf und kehrte eine Woche später wieder – mit Lo Hawk. Man sagt, er habe sich nicht sehr verändert, und so fragte ihn keiner, wo er gewesen war. Aber von seiner Rückkehr datiert der heimliche Streit, der La Dire und Lo Hawk fester aneinanderbindet als Liebe.
    »… Werte erhalten«, sagte Lo Hawk.
    »… sich wandeln«, sagte La Dire.
    Gewöhnlich gab Lo Hawk nach, denn La Dire ist eine Frau, die vieles gelesen hat, sie ist sehr kultiviert und gescheit; Lo Hawk war in seiner Jugend ein prima Jäger gewesen und ein prima Krieger, wenn es nötig war. Und er war klug genug, wenn schon nicht mit Worten, so doch faktisch zuzugeben, daß eine solche Notwendigkeit nicht mehr bestand. Aber diesmal war Lo Hawk unerbittlich.
    »Kommunikation ist lebenswichtig, wenn wir jemals menschliche Wesen werden wollen. Ich würde eher einen kurzschnäuzigen Hund anerkennen, der aus den Bergen kommt und ungefähr vierzig oder fünfzig unserer Wörter beherrscht, um seine Wünsche auszudrücken, als ein stummes Kind. O die Kämpfe, die ich in meiner Jugend erlebt habe! Als wir die Riesenspinnen davonjagten oder als wir mit Salz und Kalk die zwanzigfüßigen Schnecken vernichteten, die aus dem Boden schossen … Wir haben diese Schlachten gewonnen, weil wir miteinander sprechen konnten, weil wir Befehle schreien konnten, eine Warnung brüllen, Pläne in der zwielichtigen Dunkelheit der Quellenhöhlen flüsternd beraten konnten. O ja, ich würde viel eher einem sprechenden Hund La oder Lo verleihen!«
    Jemand machte eine dreckige Bemerkung: »Na, ihr könnt ihr ja nicht gut ein Le verleihen!« Die Leute kicherten. Aber die älteren Leute sind recht geschickt darin, diese Art Ehrfurchtlosigkeit zu ignorieren. Jeder ignorierte sowieso ein Le. Jedenfalls, die Geschichte wurde nie entschieden. Gegen Monduntergang zerstreuten sich die Leute allmählich, und jemand machte den Vorschlag, die Sache zu vertagen. Alle kamen ächzend und knarrend auf die Beine. Friza, dunkel und schön, spielte immer noch mit ihren Steinchen.
    Friza hat sich als Baby nicht bewegt, weil sie schon wußte, wie’s geht. Als ich sie im flackernden Feuerschein ansah (ich war auch

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