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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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haben wir auf dem Beryl Face gemacht: nach Weideland gesucht). Wir waren ein feines Trio. Little Jon wird, obwohl er ein Jahr älter ist als ich, bis zu seinem Tod aussehen wie ein kleiner schwarzer Vierzehnjähriger mit einer Haut, glatt wie Vulkanglas. Er schwitzt durch die Handflächen, die Fußsohlen und die Zunge (hat keine richtigen Schweißdrüsen: er macht Pipi wie ein Diabetiker am ersten Wintertag oder wie ein sehr aufgeregter Hund). Er hat ein Silbergeflecht als Haar – nicht weiß, silbern. Das Pigment basiert auf dem reinen Metall, die schwarze Haut rührt von einem Protein her, das um das Silberoxyd gebildet wird. Kein rostiges, eisenbraunes Eisenoxyd. Er ist ein bißchen simpel und singt, wenn er zwischen den Felsen und den Ziegen herumhüpft, und von seinem Kopf und aus den Achselhöhlen und zwischen den Schenkeln schießen Silberblitze, dann bleibt er stehen, hebt das Bein (wie ein nervöser Hund) an einem Baumstamm und schaut mit verlegenen schwarzen Augen in die Gegend. Wenn sie lächeln, versprühen diese Augen ebensoviel Licht – auf einer anderen Frequenz – wie sein schimmernder Kopf. Außerdem hat er Klauen. Harte, scharfe Hornklauen, wo ich Fleischballen habe. Er ist kein guter Lo, wenn er wütend auf einen ist.
    Easy wieder ist groß (ungefähr zweifünfundvierzig lang), pelzig (dunkelbraune Haare ringeln sich seinen Rücken hinunter, bilden Löckchen an seinem Bauch), stark (die dreihundertsechsundzwanzig Pfund Easy sind in Wirklichkeit eine gepreßte geballte Ladung von Fels in Pelz gepackt: seine Muskeln haben Kanten), und er ist sanftmütig. Einmal bin ich wütend auf ihn geworden, als eine der trächtigen Ziegen in einen Felskamin stürzte.
    Ich hatte es kommen sehen. Es war die große blinde Mutterziege, die uns acht Jahre lang vollkommene Normdrillinge geworfen hatte. Ich stand gerade auf einem Fuß da und warf Steine und Stöcke mit den anderen drei Gliedmaßen. Man muß ihm schon einen kleinen Felsen an den Kopf werfen, um Easys Aufmerksamkeit zu erregen; er war viel näher an ihr dran als ich.
    »Paß doch auf, du non-funktionaler, Lo-loser Mongoloid! Gleich fällt sie in …« Und dann tat sie es.
    Easy hörte auf, mich mit seinem Warum-schmeißt-du-Steine-nach-mir-Gesicht anzustarren, sah sie am Rand herumzupfen, machte einen Hechtsprung auf sie zu, verpaßte sie, und dann begannen beide zu blöken. Ich legte alles, was ich hatte, in den Steinbrocken, der ihn an der Hüfte erwischte. Ich heulte fast. Easy heulte wirklich.
    Er hockte an der Kante über dem Kamin, und der Pelz auf seinen Wangen war von Tränen naß. Die Mutterziege hatte sich auf dem Grund des Kamins das Genick gebrochen. Easy blickte auf und sagte: »Tu mir nicht mehr weh, Lobey. Das da« – er rieb sich die blauen Augen mit den Knöcheln, dann deutete er hinunter – »das tut mir schon viel zuviel weh.« Was kannst du mit so einem Lo schon anstellen? Easy hat auch Klauen. Er benützt sie aber nur, wenn er auf die Titanpalmen klettert und Mangos für die Kinder abreißt.
    Im allgemeinen aber machten wir unsere Sache mit den Ziegen gut. Einmal ist Little Jon vom Ast einer Eiche auf den Rücken eines Löwen gesprungen und hat ihm die Kehle zerfetzt, ehe er die Herde angreifen konnte. Und so sanft er ist, Easy hat einem Schwarzbären mit einem Holzscheit den Kopf zertrümmert. Und ich, ich habe meine Machete und kann sie gleich geschickt mit beiden Händen, linksfüßig oder rechtshändig oder umgekehrt benützen. O ja, wir machten unsere Sache gut. Aber jetzt nicht mehr.
    Was passierte, war Friza.
    »Friza« oder »La Friza« war schon immer ein Streitpunkt bei den älteren Volksdoktoren und den Ältesten gewesen, die die Titel verleihen. Sie sah ganz normal aus: schlank, braun, voller Mund, breite Nase, bronzefarbene Augen. Ich glaube, sie ist vielleicht mit sechs Fingern an der einen Hand auf die Welt gekommen, aber der überzählige war non-funktional, und so hat ihn ein Wanderdoktor amputiert. Ihr Haar war dicht, locker und schwarz. Sie trug es kurz, aber einmal hat sie ein Stück rote Schnur gefunden und hineingeflochten. An dem Tag trug sie Armbänder und Kupferperlen, viele, viele Stränge. Sie war schön.
    Und schweigsam. Als sie ein Baby war, hat man sie mit den übrigen Non-Funktionalen in den Käfig gesteckt, weil sie sich nicht bewegte. Kein La. Dann hat ein Wärter herausgefunden, daß sie sich nicht bewegte, weil sie schon wußte, wie man’s macht; sie war so quicklebendig wie der Schatten eines

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