Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
Kid wölbte den Rücken, faßte sich an den Hals. Das Gefühl war ein Entsetzen, das um Grade tiefer in mich eindrang, als ich es für möglich gehalten hätte. Spinne rief mir vom Kamm der Düne zu: »Verdammt, spiel weiter!«
    Ich kreischte durch die Klinge.
    »Solange du Musik machst, kann er sein Gehirn für nichts anderes gebrauchen!«
    Kid war aufgesprungen. Die Drachenpeitsche zischte über meinen Kopf. Blut rann dünn seine Brust hinab. Er stolperte rückwärts über das Treibholz, er stürzte. Ich kroch beiseite, brachte es fertig, auf den Füßen zu bleiben – das war ein bißchen leichter für mich als für die meisten anderen Leute. Ich brachte immer noch eine Art Lärm aus der Klinge hervor.
    Spinne kam mit singender Peitsche seitwärts die Düne herunter.
    Kid warf sich unter den Peitschenhieben auf den Bauch, versuchte zu kriechen. Die Kiemen unter seinem langen Haar im Nacken öffneten sich. Spinne schlitzte ihm den Rücken auf, dann schrie er mir gellend zu: »Hör nicht auf zu spielen!«
    Kid zischte, er biß in den Sand. Er rollte auf die Seite, Sand hing an seinem Mund, an seinem Kinn. »Spinne … au, Spinne. Hör auf! Nicht, bitte … nicht …« Die Peitsche riß ihm die Wange auf, er griff sich ins Gesicht.
    »Spiel weiter, Lobey! Verflucht, oder er bringt mich um!«
    In der Oktave überblasen, stachen meine Töne in den Morgen.
    »Ahhhhhh … ein, Spinne-Kumpel. Tu mir nicht mehr weh!«
    Die Worte verwischten auf seiner blutigen Zunge. »Hör auf – ahhhhhh – es tut weh. Es tut weh! Du bist doch mein Freund, Spinne! – Neinnnn! – Du bist doch mein …« Schluchzen ein paar Minuten lang. Die Peitsche schnitt wieder und wieder und immer wieder in Kids Körper.
    Über Spinnes Schultern strömte der Schweiß. »Okay«, sagte er. Er rollte die Peitsche auf, sein Atem ging schwer.
    Meine Zunge schmerzte, die Hände waren taub. Spinne blickte von mir zu Kid. »Es ist vollbracht«, sagte er.
    »War … war das nötig?« fragte ich.
    Spinne schaute zu Boden.
    In einem Busch eine rasche Bewegung. Ein Dorn wand sich über den Sand, schleppte eine Blüte mit sich.
    Spinne begann den Hang hinaufzusteigen. »Los komm«, sagte er. Ich ging hinter ihm her. Auf dem Kamm blickte ich zurück. Ein Strauß von Blüten wand sich um den Kopf des Toten, stieß auf die Augen, die Zunge zu. Ich folgte Spinne den Hang hinunter.
    Am Fuß der Düne wendete er sich mir zu. Dann runzelte er die Stirn. »Mach dich davon los, Junge. Ich hab’ dir gerade das Leben gerettet. Sonst war nichts.«
    »Spinne …?«
    »Was ist?«
    »Grünauge … Ich glaube, ich hab’ da was begriffen.«
    »Was ist? … Ach komm weiter, wir müssen zurück!«
    »Es ist wie bei Kid. Ich kann die Leute zurückholen, die ich selber getötet habe.«
    »Wie im Zerbrochenen Land«, sagte Spinne. »Du hast dich selbst zurückgeholt. Du hast dich selber sterben lassen, und du bist zurückgekommen. Grünauge ist der einzige, der deine Friza zu dir zurückbringen kann. Jetzt!«
    »Grünauge«, sagte ich noch einmal. »Er ist tot.«
    Spinne nickte. »Ja, du hast ihn getötet. Es war dieser letzte Hieb deiner …« Er zeigte auf meine Machete.
    »Ach«, sagte ich. »Was ist los dahinten in Branning-at-Sea?«
    »Aufruhr.«
    »Warum?«
    »Sie sind gierig auf ihre eigene Zukunft.« Einen Augenblick lang stellte ich mir das Blütenbeet über dem Gesicht von Kid vor. Es erregte mir Übelkeit.
    »Ich gehe zurück«, sagte er. »Kommst du mit?«
    Die See zog hinaus, Schaum rippte den Sand.
    Ich dachte eine Weile nach. »Ja. Aber nicht jetzt.«
    »Grünauge wird« – Spinne stampfte irgend etwas mit dem Fuß in den Sand – »er wird auf uns warten, nehme ich an. Und die Taube auch. Die Taube führt jetzt diesen Tanz der Leute an. Sie wird dir nicht so leicht vergeben für die Entscheidung, die du getroffen hast.«
    »Welche Entscheidung?«
    »Zwischen dem Wirklichen und – all dem anderen.«
    »Und was habe ich gewählt?«
    Spinne stupste mich an der Schulter, er grinste. »Das wirst du vielleicht begreifen, wenn du zurück bist. Wo gehst du hin?« Er wendete sich weg.
    »Spinne?«
    Er blickte zu mir zurück.
    »In meinem Dorf gab es einen Mann, der wurde unzufrieden. Und darum hat er diese Welt verlassen und hat eine Zeitlang auf dem Mond gearbeitet, auf den äußeren Planeten, dann auf Welten, die ganze Sternsysteme weit entfernt liegen. Ich könnte auch dorthin gehen.«
    Spinne nickte.
    »Ich hab’ das auch mal gemacht. Und als ich zurückkam, da

Weitere Kostenlose Bücher