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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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sein mußten, ein langer Ton, dann ein Echo, während das Laub unter einer Brise schwankte.
    Unter Grün und Silber machten wir uns wieder auf den Weg durch die kühlen, gefährlichen Schneisen.
    Ein Schritt und Atemholen und Schritt.
    Dann links von uns in den Bäumen …
    Er kam gesprungen, und sein Sprung überschüttete uns mit Schatten und Zweigen und Laub.
    Er drehte das Hinterteil zur Seite und stand da – das Vorderbein hier und das Hinterbein höllisch weit da drüben – und schaute auf uns herunter mit einem blutunterlaufenen Auge, braun und dick verklebt in den Winkeln. Der Augapfel muß mindestens so groß gewesen sein wie mein Kopf.
    Die feuchten schwarzen Nasenlöcher dampften.
    Er war sehr edel.
    Dann warf er den Kopf zurück, riß dabei Äste ab und ließ sich nieder, die beiden Fäuste in den Boden gestemmt – wo die Vorderhufe hätten sein sollen, hatte er Hände mit hornigen haarigen Fingern, so dick wie mein Arm – dann brüllte er, bäumte sich auf und sprang davon.
    Die Borke des Baumes, gegen den ich mich gepreßt hatte, biß in meinen Rücken, als ich mich losmachte.
    »Komm weiter«, rief Hawk, während er ungefähr in die Richtung rannte, in die der menschenköpfige Stier verschwunden war.
    Und ich lief hinter diesem verrückten alten Mann her, lief, um die Bestie zu töten. Wir kletterten durch eine Kluft zertrümmerter Felsen. Ich sprang auf einen Streifen moosbezüngelter Ziegel hinunter, mit denen der Wald hier und da bepflastert war. Wir rannten vorwärts, und …
    Manche Dinge sind so klein, daß du sie gar nicht bemerkst. Andere sind so groß, daß du direkt in sie rennst, ehe du weißt, was sie sind. Es war ein Erdloch an der Flanke des Berges, in das wir beinahe hineingetaumelt wären. Ein unebener Höhleneingang, gut zwanzig Meter breit. Ich merkte nicht einmal, daß er da lag, bis dieser ganze Lärm aus ihm hervorkam.
    Der Stier brüllte plötzlich aus dieser Öffnung in Fels und Bäumen und Ziegelsteinen, und sein Brüllen umriß die Ausmaße der Höhlung.
    Als das Echo verhallt war, krochen wir zu dem bröckeligen Rand und blickten über ihn weg. Unten sah ich Sonne auf Fell schimmern, kreisend und kreisend in der Grube. Dann bäumte er sich auf, rollte die Augen, schüttelte seine zottigen Fäuste.
    Hawk zuckte zurück, obwohl die Klauen die Ziegelmauer fünf Meter unter uns trafen.
    »Führt dieser Stollen nicht zur Quellenhöhle?« flüsterte ich. Vor einem Wesen, das so riesig ist, flüstert man.
    Lo Hawk nickte. »Manche Tunnels, sagt man, sind über dreißig Meter hoch. Manche nur drei. Das ist eine der größeren Verbindungen.«
    »Kann er wieder ’rauskommen?« Idiotische Frage.
    Auf der anderen Seite vom Loch erschien der gehörnte Kopf, die Schultern. Der Niederbruch war dort abgeflacht worden. Er war herausgeklettert. Und jetzt blickte er uns an, hockte da drüben. Er brüllte einmal, die lange Zunge wie rote schaumbedeckte Leinwand.
    Dann sprang er quer über das Loch auf uns zu.
    Er schaffte es nicht, aber wir rannten hastig zurück. Er erreichte den Rand mit den Fingern einer Hand – ich sah, wie schwarze Rillen um die Klauen herum aufbrachen – und mit einem Arm. Der Arm hieb auf den Boden ein, versuchte Halt zu finden.
    Hinter mir hörte ich Hawk rufen (ich laufe schneller als er). Ich schaute mich um und sah, wie die Hand sich über ihn hob.
    Er lag ganz verkrümmt auf der Erde. Die Hand schlug noch ein paarmal zu (Bumm-Bumm! Bumm), und dann verloren Arm und Finger den Halt und rissen eine Menge Steine, Büsche und kleine Bäume mit sich hinunter, hinunter, hinunter.
    Lo Hawk war nicht tot. (Einen Tag später fanden sie heraus, daß er einen Rippenbruch hatte, aber das kam erst später.) Er richtete sich auf. Er erinnerte mich an ein verletztes Insekt. Er erinnerte mich an ein krankes Kind.
    Ich zog ihn an den Schultern hoch, gerade in dem Augenblick, als er wieder zu atmen begann. »Hawk! Bist du …«
    Er konnte mich wegen des Gebrülls aus dem Loch nicht hören. Aber er richtete sich auf, blinzelte. Blut tropfte aus seiner Nase. Die Bestie hatte mit hohler Hand zugeschlagen. Lo Hawk hatte sich zu Boden geworfen, und glücklicherweise hatten die wichtigen Körperteile, der Kopf zum Beispiel, mehr vom Luftdruck abbekommen, als daß sie wirklich getroffen worden wären. »Komm, verschwinden wir von hier!« Und ich begann ihn zu den Bäumen zu ziehen.
    Als wir dort angekommen waren, schüttelte er den Kopf.
    »… nein, warte, Lobey …«, krächzte seine

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