Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
heisere Stimme, als das Brüllen einmal stockte.
    Als ich ihn endlich gegen einen Baumstamm gelehnt hatte, ergriff er mein Handgelenk.
    »Rasch, Hawk! Kannst du gehen? Wir müssen hier weg. Paß auf, ich werde dich tragen …«
    »Nein!« Die Luft, die aus seinen Lungen herausgetrieben worden war, stürzte in ihn zurück.
    »Ach, nun mach, doch schon, Hawk! Spaß ist Spaß. Aber du bist verletzt, und dieses Ding ist sehr viel größer, als wir beide es uns vorgestellt haben. Die Strahlung in den tieferen Höhlengängen muß zu einer Mutation geführt haben.«
    Er zerrte mich erneut am Handgelenk. »Wir müssen bleiben. Wir müssen es töten.«
    »Glaubst du, es könnte heraufkommen und das Dorf angreifen? Es hat sich bisher noch nicht sehr weit von der Höhle entfernt.«
    »Das …« Er hustete. »Das hat nichts damit zu tun. Ich bin ein Jäger, Lobey.«
    »Also, hör mal …«
    »Und ich muß dir beibringen, wie man jagt.« Er versuchte aufrecht zu sitzen, ohne sich an den Baumstamm zu lehnen. »Bloß sieht es jetzt so aus, als wenn du diese Lektion allein lernen mußt.«
    »Hm?«
    »La Dire sagt, du mußt dich für deine Reise fertigmachen.«
    »Ach, zum Kuckuck …« Dann schielte ich nach ihm, auf all die Klüfte und das Alter und den Mut und den Schmerz in diesem Gesicht. »Was muß ich tun?«
    Das Brüllen des Stieres dröhnte durch das eingebrochene Dach der Höhle herauf.
    »Steig da ’runter, jag die Bestie und töte sie.«
    »Nein!«
    »Es ist für Friza.«
    »Wie?« forderte ich.
    Er zuckte mit den Achseln. »La Dire weiß es. Du mußt jagen lernen und gut jagen lernen.« Und dann sagte er es noch einmal.
    »Ich bin wirklich dafür, meine Männlichkeit zu beweisen und so weiter. Aber …«
    »Das hat einen anderen Grund, Lobey.«
    »Aber …«
    »Lobey.« Seine Stimme ließ sich tief und stark und weich in seiner Kehle nieder. »Ich bin älter als du, und ich weiß mehr über diese ganze Geschichte als du. Nimm dein Schwert und deine Armbrust und steig in die Höhle ’runter, Lobey. Geh gleich.«
    Ich hockte da und dachte über eine ganze Menge Dinge nach. Zum Beispiel, daß Tapferkeit eine sehr dumme Sache ist. Und darüber, wie überrascht ich war, daß ich für Lo Hawk noch soviel Ehrfurcht aus meiner Kindheit behalten hatte, und auch wie viele unangenehme Begleiterscheinungen Kraft und Wirkung und Unternehmungsgeist haben können wie zum Beispiel Furcht, Verwirrung und ganz gewöhnlicher Ärger.
    Die Bestie brüllte jetzt wieder. Ich schob die Armbrust höher den Arm hinauf und rückte den Griff der Machete an meiner Hüfte zurecht.
    Wenn man schon etwas Idiotisches vorhat – und wir alle tun das manchmal –, dann sollte es wenigstens gleich etwas Verrücktes und Tapferes sein.
    Ich schlug Lo Hawk auf die Schulter und machte mich zur Grube auf.
    Auf dieser Seite war der Einbruch scharf und führte tief hinunter. Ich ging ’rüber zur flacheren Seite, wo es natürliche Simse gab, die von Wurzeln, Erde und Mauerwerk gebildet wurden. Ich blickte rund um den Abgrund, und dann kletterte ich hinunter.
    Sonne fiel auf die gegenüberliegenden Wände, sie schimmerten von Moos. Ich ließ die Hand von dem feuchten Felsgestein fallen und stieg über ein öliges Rinnsal hinweg, dessen Regenbogen unter meinem Schatten erlosch. Irgendwo weiter vorn im Stollen klapperten Hufe und Stein.
    Ich ging vorwärts. In der hohen Decke waren viele Risse und Sprünge, ab und zu fiel Licht durch sie auf den Boden, ein Zweig, der sich an bröckeliges Laub klammerte, der Rand eines Loches, das vielleicht nur ein paar Handbreit hinunterreichte, ein paar Meter, oder das bis in die tiefsten Gründe der Quellenhöhle hinabstürzte, die Tausende von Metern weiter unten lagen.
    Ich gelangte an eine Gabelung, wendete mich unter der Wölbung nach links, zehn Meter in die Dunkelheit hinein, stolperte und rollte flache Stufen hinunter, einmal durch eine Pfütze, einmal über dürres Laub, und landete schließlich in einem Lichtstrahl auf dem Grund mit Knien und Handflächen auf Geröll.
    Trap!
    Trapp!
    Viel näher: Trappp!
    Ich sprang auf die Füße und weg von dem verräterischen Lichtstrahl. Staubteilchen wirbelten in dem schrägen Lichteinfall, wo ich gewesen war. Und der Staub legte sich.
    Mein Magen fühlte sich an wie ein loser Wassersack, der über meinen Eingeweiden herumflappte. Auf das Geräusch zugehen – er war jetzt ganz still und wartete – bedeutete jetzt nicht mehr, einfach in eine bestimmte Richtung zu gehen. Es war

Weitere Kostenlose Bücher