Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
deren Gummizug in den Oberschenkel schneidet.
Er fährt durch die Unterführung, an der Endstation der Straßenbahn vorbei und, ohne den Freihafen zu berühren, die Buchenallee hinauf. Im Zollgebäude oben auf dem Berg brennen die ersten Lichter. Auch in einigen Dienstbaracken sind Lichter aufgeflammt. Der junge Zöllner steigt ab, blickt hinab in die Kiesgrube. Auf dem Grund stehen zwei Lastwagen. Sie stehen sich mit laufenden Motoren und brennenden Scheinwerfern gegenüber, als würden sie gleich aneinandergeraten. Vor einer Bude stehen ein paar Kerle und rauchen. Aus dem Zollgebäude ist Radiomusik zu hören, nein, nicht aus dem Zollgebäude, sondern aus dem Buchenwald. Tagsüber haben die Sommergäste den Strand versaut, jetzt müssen sie im Wald Krach machen. Gottseidank wird es bald Herbst.
Der Innendienst hat schon Feierabend gemacht. Über den sandigen Platz latschen zwei Frauen vom ReinemachKommando; sie machen einen Heidenlärm und fuchteln mit den Armen. Vor dem Abschied fällt ihnen am meisten ein: eine halbe Stunde brauchen sie, um endlich loszukommen voneinander. Am Rande des Platzes flammen die großen Bogenlampen auf. Der Zöllner sitzt auf. Er fährt das letzte Stück bis zur Baracke und lehnt sein Fahrrad gegen die Wand. Er geht den trüben Korridor entlang, in einem Raum wird telefoniert. Er öffnet die Tür zum Büro. Alex sitzt gebeugt und leise schnaufend über einem Stapel blauer Mappen, die er mit Skriptol beschriftet. Auf seiner Aktenmappe liegt fein zusammengefaltet Butterbrotpapier - vermutlich ist er die ganze Dienstzeit mit dem gleichen Bogen ausgekommen. Der junge Zöllner angelt sich das Dienstbuch, grüßt Alex, läßt sich an einer Ecke des Schreibtisches nieder. Alex sieht ihn gleichgültig an, schnappt sich die blauen Mappen und steht auf. Ich geh mal zum Hauptgebäude rüber, sagt er. Ist gut, sagt der junge Zöllner. Alex schlurft mit seinen beschrifteten Mappen raus. Der Zöllner macht seine Eintragung. Er schließt das Dienstbuch und legt es in eine Schublade. Dann tritt er an das Schlüsselbrett, hebt den Schlüssel zu seinem Spind ab. Er öffnet sein Spind. Langsam hebt er den Riemen über seinen Kopf und nimmt das leere Etui in die Hand. Er schiebt sein Etui tief in das Spind hinein und blickt sich schnell um: draußen schlurft Alex unter dem Licht der Bogenlampen zum Hauptgebäude hinauf. Das Schlüsselbrett ist nur zwei Schritte entfernt. Jeder Haken hat seine Nummer. Er hebt den Schlüssel Nummer 5 ab und öffnet Reinharts Spind. Vorn liegt ein Stapel von blödsinnigen Merkblättern, daneben das Etui mit dem Fernglas. Auf dem Gang draußen ist es still, im Nebenzimmer telefoniert Michelsen immer noch. Der junge Zöllner öffnet Reinharts Etui, holt das Glas heraus, sieht auf die Mittelschraube und erkennt, daß die mattgraue Schutzfarbe zur Hälfte weggekratzt ist. Es ist sein Glas. Er wirft das leere Etui in Reinharts Spind, schließt ab und hängt den Schlüssel ans Brett. Dann steckt er sein Glas in sein Etui und schiebt das Etui tief in den Spind hinein und schließt ab. Er zieht die metallene Klammer von seiner Hose und drückt die Klammer in der Hand zusammen. Auf einer Karte gegenüber der Tür verfolgt er noch einmal die Wege, die er heute gemacht hat.
Michelsen von nebenan kommt herein und puhlt sich am Ohrläppchen; er fragt: Ist Alex nicht hier? Im Hauptgebäude, sagt der junge Zöllner und begleitet Michelsen hinaus. Sie gehen schweigend den Gang entlang, draußen geben sie sich die Hand. Sie trennen sich. Unten am Fjord sind die Kneipen erleuchtet. Alle sind bevölkert von Sommergästen, die sich zur Nacht vollsaufen. Die Kneipenwirte brauchen sich jedenfalls nicht selbst anzupumpen. Die ganze Strandpromenade wimmelt von vergnügten Sommergästen, die unter Johlen und Pfeifen zu einem Lokal hinschieben, dort, wo im Freien getanzt wird. Der junge Zöllner fährt nach Hause, führt das Rad in den zugigen Flur und blockiert es am Eingang zum Keller. Er hat die Erlaubnis des Hauswirts. Er klingelt ein einziges Mal bei Tabert, bevor er die Tür selbst aufschließt und sie hinter sich zufallen läßt. Vor der Garderobe zieht er seine Jacke aus und hängt sie über einen Drahtbügel. Dann geht er ins Wohnzimmer. Am kleinen Tisch vor dem Radio sitzen Reinhart und seine Frau; beide trinken Bier. Endlich, sagt die Frau, wir warten schon eine halbe Stunde auf dich. Sie steht auf, holt ein Glas und eine Flasche Bier und schenkt ihm ein. Er setzt sich ohne
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