Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
gleich nach dem Überraschungsangriff eine unerwartete Spannung: in Sprechchören gaben sie zu erkennen, wer ihre Hoffnungen trug und was sie eingelöst sehen wollten. Bodelsbach forderte Tore; unsere Leute antworteten mit dem Namen von Klaus Körner, und so, wie sie diesen Namen artikulierten, lagen darin grollende Warnung und Selbstzuspruch. Und Klaus, der zur Halbzeit so erschöpft gewirkt hatte, zog den Ball an in jeder Haltung, in jeder Stellung. Der Ball suchte ihn. Der Ball klebte an seinen Fingerspitzen. Der Ball tanzte auf seinem Unterarm. Kreiseln konnte der Ball, wenn er kreiseln sollte. Der Ball sprang und stieg und versteckte sich, er bot sich an und foppte den Gegner, so, wie Klaus es wollte. Es gab Beifall im offenen Spiel, wenn wir vor dem Schutzkreis der Bodelsbacher zu wirbeln anfingen, wenn wir sie stehen und zusehen ließen, wie der Ball von einem Spieler zum andern wandern konnte, kurz, lang, kurz, doch der Beifall steigerte sich noch, wenn Klaus zum Schuß ansetzte: hoch stieg er auf, schnellte empor über die erhobenen Arme der gegnerischen Abwehr, die Hand mit dem Ball zuckte zurück, aber anstatt zu werfen, täuschte er nur an, klemmte sich mit energischer Drehung durch die Verteidigung und ließ sich in den Kreis fallen. Und im Fallen schoß er.
Wenn sie nicht bei Halbzeit den Torwart ausgewechselt hätten, wäre unser Vorsprung vielleicht auf sechs Tore angewachsen, aber dieser schmächtige, ernste Junge, der weder Genugtuung noch Freude verriet, der jedem Schuß entgegenflog und so den Winkel verkürzte, hielt einfach alles, und nach meinem zweiten Fallwurf, den er im Flug zur Ecke ablenkte, ging ein Raunen der Bewunderung durch die Halle, ehe der Beifall begann. Er maß mich nicht nur mit seinen Blicken, er schien unweigerlich vorauszusehen, was ich vorhatte, und er war da und verhinderte eine höhere Führung. Auch Hartwig mit seinen Senkwürfen konnte ihn nicht überlisten: Hebbi Prengel, den Reservetorwart von Bodelsbach, der als Einwieger in ihrer verdammten, berühmten Marmeladefabrik arbeitete.
Zuerst sah es so aus, als könnte Hebbi Prengel, den sie nach der Pause ins Tor stellten, obwohl er noch nie an einem entscheidenden Spiel teilgenommen hatte, Klaus mattsetzen oder blockieren, einfach nur durch die vollkommene Art, mit der er sich auf ihn einstellte. Ein geheimer Mechanismus schien sie zu verbinden, eine Beziehung, die bewirkte, daß der Torwart eine äußerst gespannte Ruhe gewann und sich duckte, sobald Klaus den Ball führte, und er drehte sich mit in winzigen Schritten, mit einer Bereitschaft, die viel zu früh begonnen zu haben schien, unwillkürlich alarmiert, unwillkürlich herausgefordert durch die Gefahr, die von Klaus ausging. Wie sie sich erkundeten! Wie sie einander studierten! Niemand hätte voraussagen können, wohin der Ball fliegen würde, den Klaus mit schmalem Pokergesicht abfeuerte: Hebbi Prengel wußte es, ahnte es, hatte die Flugbahn schon berechnet, stand in Erwartung da. Es war jedenfalls sein Verdienst, daß Bodelsbach in diesen Minuten bis auf siebenzusechs herankam - den Siebenmeterball, der gegen uns verhängt wurde, halte ich allerdings immer noch für umstritten.
Sie trampelten, sie klatschten, ihre Sprechchöre trugen untereinander ein besonderes Spiel aus. Die Halle zitterte. Ich riskierte einen Alleingang, nachdem Hartwig mich durch schnellen Positionswechsel freigespielt hatte, stieg so hoch ich konnte, sah in das Gesicht des Torwarts, der mich in leichter Grätschstellung, mit nicht ganz ausgestreckten Armen erwartete, und diesmal wußte ich, daß ich ihn bezwingen würde, noch bevor ich geschossen hatte. Mitten im Sprung schoß ich einen Aufsetzer, der zwischen Hebbi Prengels Beinen hindurch ins Tor sprang: es stand nicht nur achtzusechs, dieses Tor schien einen Stau oder eine schon erfolgte Resignation aufzuheben, es war ein Zeichen, ein Appell, und wie sehr wir es nötig gehabt hatten, bewiesen sie mir, als sie alle auf mich zuliefen - und sogar Werner aus seinem Tor herauskam - um mir die Hand zu drücken, mich zu tätscheln oder in die Seite zu knuffen. Ich ließ diese Gratulation nicht nur über mich ergehen; jetzt forderte ich sie zu einem Zwischenspurt auf: Ran, Jungens, nun aber ran.
Nachdem Klaus uns durch einen Alleingang wieder mit zwei Toren in Führung gebracht hatte, geriet Bodelsbach unter zunehmenden Druck; wir schnürten sie vor ihrem Tor ein, wehrten ihre planlosen Angriffe ab und zwangen sie, mit Haken
Weitere Kostenlose Bücher