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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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stürzte. Der Schmerz riß mich von den Beinen. Nachdem Plessen und der Schiedsrichter mir geholfen hatten, hochzukommen, konnte ich immer noch nicht aufrecht gehen; gegen diesen Schmerz konnte ich den Körper nicht strecken.
      Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel, bis Klaus wieder auf den Beinen war, und danach gab es - was der Bodelsbacher Anhang mit Beifall quittierte - keinen Strafwurf, sondern nur einen Schiedsrichterball. Wenn es einen Siebenmeter gegeben hätte: wir hätten ihn ausgeführt, selbstverständlich, jedoch ohne den Grund erkannt zu haben; denn ebenso wie der Schiedsrichter hatte keiner von uns eine Regelwidrigkeit entdecken können. Niemand protestierte gegen diese Entscheidung, niemand außer Klaus: gekrümmt, mit verzerrtem Gesicht, verfolgte er den Schiedsrichter, stellte ihn an unserem Schutzkreis, beschwerte sich und forderte ihn auf, seine Entscheidung zu korrigieren. Ob er nichts gesehen habe? Ob er unparteiisch sei? Ob er nicht besser einen Hebammen-Wettkampf pfeifen wolle? Der Schiedsrichter ermahnte ihn.
    Sie nahmen wohl alle an, daß es meine alte Sehnenver
    letzung war, die sich bemerkbar machte; deshalb mißbilligten sie meine Forderungen an den Schiedsrichter. Aber ich mußte ihm sein Versäumnis beibringen; nun, da es zum zweiten Mal geschehen war, mußte ich ihn darauf hinweisen, was geschehen war - selbst auf die Gefahr hin, daß er mich ermahnte. Und er ermahnte mich prompt - im gleichen Augenblick, in dem Bodelsbach den Ausgleich erzielte. Achtzuacht stand es; Plessen gab mir ein Zeichen, das Spielfeld zu verlassen, jetzt wollte er mich austauschen, doch ich übersah die Aufforderung.
      Obwohl ich nicht mithalten konnte: für ein Angriffsspiel wollte ich noch dabei sein, zurückhängend, weit zurückhängend, um Hartwig zu bedienen; einen Angriff wollte ich nur noch mitmachen, um dann freiwillig vom Feld zu gehn.
      Warum ging Klaus nicht auf die Reservebank, obwohl Plessen ihn mehrmals dazu aufforderte? Humpelnd, eine Hand auf seinen Unterleib gepreßt, bewegte er sich auf Rechtsaußen, stolperte mit, fing jedoch sicher und hart, als er angespielt wurde und paßte, was wohl keiner ihm zugetraut hatte, sehr genau, vor allem unvermutet zu Hartwig hinüber, der kurz vor dem Kreis bereitstand. Hartwig fing, doch Ole Zesch schlug ihm den Ball aus der Hand, und es gab Freiwurf. Wir waren noch unschlüssig, wer den Freiwurf ausführen sollte, da hatte Klaus schon den Ball in der Hand.
      Ich angelte mir den Ball und wartete auf den Pfiff des Schiedsrichters, geduckt - denn der Schmerz erlaubte es mir immer noch nicht, mich aufzurichten - und aus den Augenwinkeln die Positionen unserer Spieler erkundend. In diesem Augenblick hatte ich mich noch nicht entschieden, wem ich den Ball zuspielen würde. Wenige Schritte vor mir, ruhig, spreizbeinig, den Kopf in die Schultern eingezogen, erwartete Ole Zesch den Pfiff, seine Finger machten vorsorgliche Greifbewegungen, als wolle er sie für eine besondere Aktion lockern. Dann kam der Pfiff, und ich legte alle meine Kraft in den Wurf. Der Ball traf Ole Zesch im Gesicht, mit hellem Dröhnen. Ich sah, wie sein Kopf zurückgeschleudert wurde, wie er die Hände vor das Gesicht riß und gebückt auf seinen Tormann zulief, wobei er sich um sich selbst drehte.
      Wen würde Klaus anspielen, so fragten wir uns, als er darauf bestand, den Freiwurf auszuführen; keiner empfing ein Signal, also mußte jeder von uns damit rechnen. Es war vier Minuten vor dem Ende des Spiels, und bei Gleichstand. Wer weiß, vielleicht beweist gerade dies, daß er keinem von uns signalisierte, auf sein Abspiel gefaßt zu sein, daß er etwas vorhatte von Anbeginn, eine unangemessene Vergeltung, oder daß er sich eine Genugtuung verschaffen wollte, die keinem nützte, am wenigsten ihm selbst. Wie er sich sammelte zum Wurf! Wie Verbitterung ihm half, zusätzliche Kraft zu finden! Er stand nur wenige Schritte vor Ole Zesch, und aus dieser Nähe traf er ihn mitten ins Gesicht. Es war nicht der Anhang von Bodelsbach allein, der, nach einer Pause der Fassungslosigkeit, Klaus mit Pfiffen und Zischen bedachte und dann mit wildem Beifall, als der Schiedsrichter auf ihn zulief und zu einer Geste erstarrte, die seine Entscheidung ausdrückte: Feldverweis. Vier Minuten vor Schluß wurde
    Klaus des Feldes verwiesen, wir sahen ihm nicht nach.
    Diesmal, ja, bei meinem Freiwurf glaubte der Schiedsrichter
    ein Foul entdeckt zu haben, er schoß auf mich zu, erstarrte, sein

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