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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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manches ab in der Verteidigung, und nach einer Weile sah es so aus, als hätte er sich von seiner Verletzung erholt: er stürmte wieder, er riskierte einen Torwurf und im Zurücklaufen entwarf er mit Hartwig und Walter Purschell einen neuen Spielzug. Wieviel von ihm ausging, wieviel sich von seinem Spiel und von seinem Einsatz sogleich auf die Mannschaft übertrug! Nun, da ihm nichts mehr zu schaffen machte, zog er sie wieder mit, servierte und dirigierte, und wir ließen das Spiel fast ausschließlich über ihn laufen, weil von Klaus die größte Gefahr ausging. Er hätte es nicht nötig gehabt, jeden einzelnen zum Endspurt aufzufordern; sein Spiel enthielt Aufforderung genug.
      Dann, als der Schmerz sich legte, fast vergessen war, gab ich jedem einzelnen von uns das Signal zum Endspurt, nachdem Plessen mir seinerseits das verabredete Zeichen gegeben hatte. Obwohl wir nur mit einem Tor Vorsprung führten, waren wir unserer Sache sicher. Wir verwiesen sie auf ihre Hälfte. Wir belagerten sie. Wir durchschauten jeden Entlastungsangriff und verhinderten ihn bereits in der Entstehung. Ja, wir machten sie zu Statisten, zeigten ihnen sozusagen, daß Vierfruchtmarmelade zu wenig ist, und wie sehr sie in der Klemme waren, konnte man an Hebbi Prengel, dem Einwieger, erkennen: er tänzelte, er steppte vor und zurück, er warnte seine Leute, wies sie auf Lücken hin. Und wir in diesem Augenblick: ich weiß noch die schnell gezeigten Genugtuungen, die hingeklatschten Ermunterungen, die Zuversicht weiß ich noch und die lässigen Berührungen, mit denen mir die Mannschaft zu verstehen gab, daß sie einverstanden war mit meinem Spiel. Endlich flankte Hartwig von der Ecke herein, ich riskierte einen Drehschuß, der gegen den Pfosten sprang und zu Hartwig zurück, sodaß wir im Ballbesitz blieben.
      Wir spielten so überlegen, daß das nächste Tor, das unsern Vorsprung vergrößert hätte, in der Luft lag, und als Klaus seinen Drehschuß probierte, sahen wir schon den Ball im Netz. Der Ball prallte jedoch vom Pfosten ab, Hartwig konnte sich ihn angeln, und wir liefen etwas zurück, um einen neuen Angriff aufzubauen. Wir wirbelten vor dem Kreis, ließen die Bodelsbacher immer wieder leerlaufen, und auf einmal setzte Klaus energisch zum Wurf an. Woher nahm er nur die Kraft, um so aufzusteigen? Er schnellte empor, reckte sich weit über alle hinauf - die Momentaufnahmen, die ihn so in der Luft, in dieser Streckung zeigen, lassen einfach nicht annehmen, daß allein seine Sprungkraft ihn so hinaufgetragen hat - und holte aus wie beim ersten Mal. Und wie beim ersten Mal hatte er nur einen Verteidiger vor sich, der, so schien es zumindest, die unaufhaltsame Aktion nicht mehr würde vereiteln können. Ole Zesch, der Klaus allenfalls bis zur Schulter reichte, hatte nichts mehr zu bestellen. Weder der Schiedsrichter noch einer von uns erkannte mehr als dies: Klaus setzte zum Wurf an, schrie auf, seine Hand ließ den Ball fallen, und aus dem Sprung stürzte er auf Ole Zesch, der ihn auffing, hielt, dann auf den Boden gleiten ließ, wo Klaus sich krümmte und stöhnend die Knie anzog. Nur dies Bild kann zugegeben werden: der Verteidiger in geduckter Bereitschaft, zwar nicht mit ausgebreiteten Armen, aber doch mit gespreizten, Stand suchenden Beinen; und der Angriffsspieler, nah, und zugleich hoch über ihm, den Arm zum Wurf ausgestreckt. Etwas anderes hat keiner von uns in Erinnerung.
      Wie konnte auch das unbemerkt bleiben, wie konnte vor allem der Schiedsrichter übersehen, was geschah, als ich, wie beim ersten Mal, vor Ole Zesch hochstieg, um über ihn hinwegzuwerfen? Hebbi Prengel im Tor stand zu weit vorn, in der kurzen Ecke, ich sah das, ich hatte ihn gewiß geschlagen. Als ich mich mit einem Sprung über die Verteidigung erhob, dachte ich nicht daran, daß es wieder Ole Zesch war, der das letzte Hindernis bildete, ich nahm nichts mehr wahr als die lange Ecke im Tor und den doppelten Brustring des gegnerischen Spielers, und ich sah den Ball schon im oberen rechten Eck, mit diesem unfehlbaren Instinkt, der uns in einer Sekunde erlaubt, ein Resultat vorwegzunehmen. Berührte ich ihn im Sprung? Ole Zesch stand unmittelbar vor mir, er konnte also auf kurzem Raum handeln, jedenfalls ohne weithergeholte und erkennbare Gesten. Eine Drehung genügte, eine gewaltsame Drehung, aus der er mir den Ellenbogen wieder in den Körper stieß. Er traf mein Geschlecht, und der Schmerz überwältigte mich mitten im Sprung, sodaß ich auf ihn

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