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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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es gibt keinen Unbekannten, den ich hätte einladen können - außer Julius Gassmann... Und das bin ich selbst... Ich war es.
      ANNE: Mein Gott, wenn das stimmt... Weißt du, was es für mich bedeutet? Für mich, für uns, für diese Ehe?
      HENRY: Ich sagte ja, mein Gast ist gewissermaßen verheiratet...
      ANNE: Bist du dir klar darüber, welche Folgen das haben kann?
      HENRY: Wenn du mich statt Henry Julius nennst?... Wir hatten doch ein Abkommen geschlossen: wenn die Gäste fort sind, wird sich nichts geändert haben.
      ANNE: Alles ist ungültig... Wenn es stimmt, Henry, dann ist alles ungültig.
      HENRY: Nichts ist ungültig. Und ich sage dir noch einmal, Anne: es ist wahr... Der Mann, mit dem ich dich bekanntmachen wollte, heißt Julius Gassmann.., Er ist anwesend,
      ANNE: Ich halt es nicht aus, Henry.
      HENRY: Es hat geklingelt.
    ANNE : Was sagst du ?
    HENRY: Deine Gäste haben geklingelt.
    ANNE: Ich kann jetzt nicht... geh hin und...
    HENRY: Herr und Frau Jacobson. Du hast sie eingeladen.
    ANNE: Erfinde etwas... Ich kann nicht.
      henry: Dann werde ich öffnen... Schließlich - du hast sie ja auch in meinem Namen eingeladen.
      ANNE: Sag, daß es nicht stimmt. Bitte.
      HENRY: Stell unsere Gläser weg.
      ANNE: Mach nicht auf.
      HENRY: Und den Aschenbecher.
      ANNE: Henry?
      HENRY: Nimm dich zusammen... Unsere Gäste.

    1970

Wie bei Gogol

    Dabei kenne ich diesen Umschlagplatz seit acht Jahren, dieses unübersichtliche Verteilerbecken, in dem Straßenbahnen, Busse und S-Bahnen zusammenlaufen, nur, um ihre Fracht auszutauschen und aneinander abzugeben. Kaum fliegen zischend die Türen auf, da stürzt, hastet und schnürt es schon aufeinander zu, vermengt und verknotet sich - gerade, als ob waffenlose Gegner sich ineinander verbeißen -, und so sicher und ungefährdet bewegt sich ihr Zug, so rücksichtslos erzwingt sich die große Zahl ihren Weg, daß man am besten anhält und wartet, bis alles vorüber ist, obwohl die Ampel einem Grün gibt. Wenn es nur dieser Zug wäre mit den hüpfenden Schulranzen, den schlenkernden Aktentaschen - wenn es nur diese mürrische, morgendliche Prozession wäre: sie könnte man noch kontrollierend im Auge behalten, aber hier, wo der Berufsverkehr in ein verzweigtes Delta gelenkt wird, muß man auch auf unerwartete Begegnungen gefaßt sein, auf plötzlich ausscherende Einzelgänger, auf Quertreiber, auf kleine Wettläufer, die hinter parkenden Autos hervorflitzen und die Straße im Spurt zu überqueren versuchen.
      Ich wußte das alles. Denn acht Jahre gehörte ich selbst zu ihnen, ließ mich von ihrem ungeduldigen Strom davontragen, von der S-Bahn zum Bus hinüber, der unmittelbar vor meiner Schule hält; ich war lange genug ein Teil ihrer Rücksichtslosigkeit.
      Doch all dieses Wissen half mir nicht und hätte keinem geholfen, selbst wenn er zwanzig Jahre unfallfrei am Steuer gesessen hätte; was geschah, war einfach aus statistischen Gründen unvermeidlich und kann weder auf mein Anfängertum noch darauf zurückgeführt werden, daß mein erstes Auto, mit dem ich noch nicht einmal seit einer Woche zum Unterricht fuhr, ein Gebrauchtwagen war. Obwohl sich nichts düster oder bedeutsam ankündigte an diesem Morgen, obwohl es keinen Grund gab, mir eine besondere Aufmerksamkeit aufzuerlegen - ich sollte mit einer Doppelstunde Geographie beginnen -, nahm ich, als ich mich dem Umschlagplatz näherte, frühzeitig das Gas weg und beschleunigte selbst dann nicht, als die Ampel auf Grün umsprang, mit einem kleinen Flackern, das mir wie ein Zwinkern erschien, wie eine Aufforderung, zu beschleunigen und davonzukommen, ehe die beiden Busse sich öffneten, die auf der andern Straßenseite gerade an ihren Halteplatz herandrehten. Auf dem Kopfsteinpflaster lag zerfahrener Schnee, der sich schmutzig unter dem Biß des gestreuten Salzes auflöste, das Auto fuhr nicht schneller als dreißig, und ich behielt die Busse im Auge, aus denen sie gleich wie auf ein Startzeichen herausstürzen würden.
      Er mußte aus dem Eingang zur S-Bahn gekommen sein, mußte die Nummer seines Busses entdeckt haben, den er, wie alle, die ihre morgendliche Reise so scharf kalkuliert hatten, um jeden Preis erreichen wollte. Zuerst hörte ich den Aufprall. Das Steuer schlug aus. Dann sah ich ihn auf der Haube, das verzerrte Gesicht unter der Schirmmütze, die Arme ausgestreckt gegen die Windschutzscheibe, auf der Suche nach einem Halt. Er war, gleich hinter der Ampel, von

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