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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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rechts gegen das Auto gelaufen; ich bremste und sah, wie er nach links wegkippte und auf die Fahrbahn rollte. Halteverbot, überall herum Halteverbot, darum legte ich den Rückwärtsgang ein und fuhr einige Meter zurück, zog die Handbremse und stieg aus. Wo war er? Dort, am Kantstein, an den eisernen Sperrketten, versuchte er sich aufzurichten, Hand über Hand, ein kleiner Mann, Fliegengewicht, in einem abgetragenen Mantel. Passanten waren schon bei ihm, versuchten, ihm zu helfen, hatten gegen mich schon feindselige Haltung eingenommen: für sie war die Schuldfrage gelöst. Sein bräunliches Gesicht war mehr von Angst gezeichnet als von Schmerz, er sah mich abwehrend an, als ich auf ihn zuging, und mit gewaltsamem Lächeln versuchte er die Passanten zu beschwichtigen: nicht so schlimm, alles nicht der Rede wert.
      Von ihm lief mein Blick zurück auf das Auto, im rechten Kotflügel war eine eiförmige Delle, ziemlich regelmäßig, wie von einer Holzkeule geschlagen; an den Kanten, wo der Lack abgeplatzt war, klebten Stoffäden, auch die Haube war eingedrückt und aus dem Schloß gesprungen, ein Scheibenwischer war abgebrochen. Er beobachtete mich, während ich den Schaden abschätzte, hielt sich mit beiden Händen an der Kette fest, schwankend, und immer wieder linste er zu den abfahrenden Bussen hinüber.
      Hautabschürfungen auf der Stirn und am Handrücken, mehr entdeckte ich nicht, als ich auf ihn zutrat und er mit einem Lächeln zu mir aufblickte, das alles zugab: seine Unvorsichtigkeit, seine Eile, seine Schuld, und in dem Wunsch, die Folgen herunterzuspielen und mir zu beweisen, wie glimpflich alles verlaufen sei, hob er abwechselnd die in ausgefransten Röhrenhosen steckenden Beine, bewegte den Kopf nach rechts und nach links, krümmte probeweise den freien Arm: Sieh her, ist nicht alles in Ordnung? Ich fragte ihn, warum er denn bei Rot, ob er nicht das fahrende Auto - er hob bedauernd, er hob schuldbewußt die Schultern; er verstand mich nicht. Furchtsam wiederholte er immer wieder denselben Satz, machte eine angestrengte Geste in Richtung des verlaufenden Bahndamms; es waren türkische Wörter, die er brauchte, ich erriet es am Tonfall. Ich erkannte seine Bereitschaft zur Flucht und sah, was ihn daran hinderte, doch er wagte es nicht, die inneren Schmerzen zu bestimmen oder auch nur zuzugeben. Er litt unter dem Mitgefühl und der Neugierde der Passanten; er schien zu begreifen, daß sie mich bezichtigten, und litt auch darunter. Doktor, sagte ich, jetzt bringe ich Sie zu einem Arzt. Wie leicht er war, als ich ihn unterfing, seinen Arm um meinen Nacken zog und ihn zum Auto führte, und wie besorgt er die Schäden am Kotflügel und Kühler erkundete! Während Passanten neu hinzukommenden Passanten erklärten, was sie gesehen oder auch nur gehört hatten, bugsierte ich ihn auf den Rücksitz, brachte seinen Körper in eine Art entspannter Schräglage, nickte ihm ermunternd zu und fuhr los, den alten Weg zu Schule. In der Nähe der Schule wohnten oder praktizierten mehrere Ärzte, ich erinnerte mich an die weißen Emailleschilder in ihren Vorgärten, dorthin wollte ich ihn bringen. Ich beobachtete ihn im Rückspiegel, er hatte die Augen geschlossen, seine Lippen zitterten, vom Ohr zog sich ein dünner Blutstreifen den Hals hinab. Er stemmte sich fest, hob seinen Körper vom Sitz ab - allerdings nicht, um einen Schmerz erträglich zu machen, sondern weil er etwas suchte in seinen verschiedenen Taschen, die er mit gestreckten Fingern durchforschte. Dann zog er ein Stück Papier heraus, einen blauen Briefumschlag, den er mir auffordernd über die Lehne reichte: Hier, hier, Adresse. Er richtete sich auf, beugte sich über die Rückenlehne zu mir, und mit heiserer Stimme, dringlich und gegen die gewohnte Betonung gesprochen, wiederholte er: Liegnitzerstraße.
      Daran schien ihm ausschließlich gelegen zu sein, jetzt, er sprach erregt auf mich ein, seine Furcht nahm zu: nix Doktor, Liegnitzerstraße, ja, und er wedelte mit dem blauen Umschlag. Wir kamen an den Taxistand in der Nähe der Schule, ich hielt, machte ihm ein Zeichen, daß er auf mich warten solle, es werde nicht lange dauern, danach ging ich zu den Taxifahrern und erkundigte mich nach der Liegnitzerstraße. Sie kannten zwei Straßen, die diesen Namen trugen, setzten aber wie selbstverständlich voraus, daß ich, da ich schon einmal hier war, in die näher gelegene Straße wollte, und sie beschrieben mir den Weg, den sie selbst fuhren, am

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