Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
für ihren endgültig beschlossenen Plan, Steine für die Fundamente, die Sockel, für die vierhundert Meter lange Mole. Es war nicht an ihnen, zu zweifeln, ob die See überhaupt so viele Steine herausrücken würde, um ihrem Vorhaben die nötige Sicherheit und Schwere zu geben; sie schrieben nur ihren Bedarf aus und setzten die Preise fest, und den Rest überließen sie uns, den Steinfischern. Jedenfalls, ich hatte den Ladebaum nicht umsonst verstärken und das Hebegeschirr ausbessern lassen; außerdem hatte ich »Ragnas« Luken erweitert und ihr selbst, die mit ihren siebzig Jahren nicht weniger verläßlich war als jedes andere beteiligte Schiff, einen sorgfältigen Teeranstrich verpaßt, zusammen mit dem Jungen, der - so schien es mir gerade zur rechten Zeit nach Hause gekommen war. Sven kam immer dann nach Hause, wenn er wieder einmal seine Untauglichkeit für einen gerade begonnenen Beruf entdeckt hatte, aber diesmal glaubte ich ihn nicht nur halten, sondern auch davon überzeugen zu können, daß man mit Ausdauer und Glück leben kann von dem, was man vom Grund der See heraufholt; jetzt, mit diesem Riesenprojekt am Horizont, bot sich ihm doch eine Gelegenheit zu erkennen, was die Steinfischerei immer noch wert war.
Der Junge:
Sein erstes Angebot lautete gleich auf halbe-halbe, obwohl ich mit weniger zufrieden gewesen wäre; schließlich brachte er außer der »Ragna« auch alle nötigen Kenntnisse und Erfahrungen ein, und er wußte besser als jeder andere, wo die tonnenschweren Brocken lagen, ohne Peilung, einfach so, als ob er sich in einem Garten und nicht auf See bewegte: Hier, hier schmeiß mal den Anker weg. Daß er mir soviel anbot, lag gewiß nicht allein an seiner pedantischen Gerechtigkeit oder gar daran, daß er auch einen rechtmäßigen Vorteil nie ausnutzen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen vor sich herzutragen; vielmehr hatte ich das Gefühl, daß er mich mit dem unerwartet hohen Angebot ködern wollte, zu bleiben und in seine Schuhe hineinzuwachsen. Vielleicht aber wollte er, daß ich blieb, weil ja nun Elisa da war, sie mit ihrer Gürtelsammlung und dem ewigen Druck auf den Schläfen, diese Frau, die auf seine Annonce hin angereist kam mit ihrem gesamten Besitz, der aus zwei Koffern und mehreren Schachteln bestand. So unvermutet sie seine Witwerschaft beendete, so wenig änderte sie seine Gewohnheiten und Eigenarten, vielleicht unterließ sie auch jeden Versuch dazu, nachdem sie gemerkt hatte, wem sie da auf eine durchaus nicht vielversprechende Annonce ins Haus geschneit war - in unser gekalktes Haus mit den viel zu kleinen und zu zahlreichen Kammern. Man muß erlebt haben, wie mein Alter ihre behutsame Herablassung ertrug und den Spott und diese seufzende Geringschätzung, mit der sie fast alles bei uns bedachte: den zu alten Herd, die beiden launischen Kachelöfen, die zu steile Stiege, die Betten, die Möbel, das Geschirr, die Eßbestecke, besonders die Eßbestecke, die sie noch jedesmal erschrocken musterte, bevor sie sie benutzte. Als sie erfuhr, daß unserer Küste ein Hafen für die großen Eisenbahnfähren zugesprochen wurde, bat sie mich, nachzufragen, ob nicht auch ein Restaurant und ein Hotel geplant seien; sie ließ nicht durchblicken, warum sie das wissen wollte; vielleicht interessierte sie sich nur deshalb dafür, weil sie selbst einmal verantwortlich in dieser Branche gearbeitet hatte und nicht aufhören konnte, uns von dieser Zeit zu erzählen - in einer Art, daß wir schließlich glauben mußten, dies sei ihre große Zeit gewesen. Er zumindest, mein Alter, erwog ausdauernd das Erzählte und legte es so aus, daß Elisas Aufenthalt auf unserer Halbinsel einen Abstieg für sie bedeutete und ihre Anwesenheit in unserem Haus ein Opfer. Sie schliefen in getrennten Kammern, und sein wichtigster Anspruch an sie bestand darin, immer und überall heißen Kaffee bereitzuhalten für ihn, den unersättlichen Kaffeetrinker. Als im Mai die endgültige Entscheidung fiel und wir die »Ragna« teerten und für den großen Einsatz ausrüsteten, ließ er sie dreimal am Tag mit Kaffee zum Liegeplatz kommen und sah ihr schon immer ungeduldig entgegen, wie sie wiegend die flach gebuckelte Düne herabkam, jedesmal mit einem anderen Gürtel um und in Schuhen, die niemand außer ihr auf der Halbinsel trug oder hätte tragen wollen: hochhackige Schuhe in künstlichen Farben. Da sie die Sonne nicht ertragen konnte, tranken wir den Kaffee im Schatten der Bordwand und ließen es uns gefallen, wenn
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