Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
es sind keine deutschen Busse.
      Als er, noch in nasser, blasenwerfender Badehose, den Gepäckraum seines Autos öffnet, geht der Hotelmanager vorbei, ein untersetzter Mann mit blauschwarzem Haar, leise vor sich hinsprechend, in gezischten Worten, die wie das immer schwächer werdende Echo einer Auseinandersetzung klingen. Der Manager ist schon vorüber, da merkt er, daß er den westdeutschen Gast in der Badehose gesehen hat, und er kehrt in knappem Bogen zu ihm zurück und bietet ihm seine Hilfe an. Gemeinsam tragen sie Badetücher, aufblasbare Gummimatratzen, schwere Bademäntel, Kork-Badeschuhe, ein Reise-Necessaire, eine Ledertasche und einige Illustrierte zum Seeufer hinunter, in den Halbschatten eines alten Baumes, dessen freigewaschene Wurzeln wie eßbar aussehen. Es scheint, sagt der Hotelmanager, heite der Balaton will vorzeigen ganze Schenheit. Rauchen Sie, fragt der Gast. Rauchend, ausgestreckt auf der Gummimatratze, sieht er seiner Frau entgegen, die sich schiebend, drehend gegen den Widerstand des Wassers zum Ufer hinarbeitet, eine blitzende Bugwelle vor dem fettlosen Bauch. Der nahe Ufersaum blendet ihn, die ferne Küste hinter dem künstlichen Bootshafen ertrinkt in blassem Karpfenblau. Bevor die Frau aus dem Wasser steigt, schiebt sie zwei Finger unter den Gummizug ihrer Badehose und zieht mechanisch den Stoff nach unten, tiefer über die Schenkel. Nur zwei österreichische Busse, sagt er, während sie sich unter dem seegrünen Frottiermantel aus dem Badeanzug pellt, zuerst das Oberteil auseinanderhakt, dann die Hose ringelnd nach unten abstreift und sie mit dem Fuß in den Sand wischt. Bei dieser Strecke, sagt sie, ganz von Stralsund hierher, da kann niemand pünktlich ankommen. Er hält ihr eine angerauchte Zigarette hin. Er sagt: Es geht alles von unserer Zeit ab; statt drei Tage können wir jetzt nur noch gut zweieinhalb Tage miteinander sprechen.
      Der Mann blättert in einer Illustrierten, überschlägt mit lauschend erhobenem Kopf einige Seiten; er lauscht zur vielbefahrenen, von den Bäumen abgeschirmten Ufer-Straße hinüber; dort ist eine Steigung, dort müssen fast alle Fahrer schalten. Er fragt gereizt: Riechst du es auch? Es ist das hiesige Benzin, so mies wie ihre Streichhölzer. Sag bloß, du riechst es nicht. Weißt du, was mir der Mann an der Tankstelle sagte, als ich ihn auf die niedrige Oktanzahl hinwies? Er sagte: Eine Oktanzahl wie bei euch werden wir erst unter dem Kommunismus anbieten können. Versuch das mal zu verstehen, Judith. Trotz der Badekappe ist der Saum ihres Haars naß geworden; vor dem ovalen Handspiegel versucht sie es seufzend zu legen, zu bändigen, in die gewohnte Form zu zwingen, die Füße im warmen Sand vergraben. Wie ungeduldig er plötzlich die Ledertasche öffnet, kramt, sichtet, eine Schachtel heraushebt, die gefüllt ist mit Photographien von unterschiedlicher Größe. Er will sie nicht ansehen, er will sich nur vergewissern, daß auch die eingepackt worden sind, auf die er besonderen Wert legt. Da ist ein Photo mit aufgebogenen Ecken, offenbar aus einem Album gelöst, alles in bräunlichem Licht: Sieh mal hier, Judith, hier hast du Trudi und mich auf einem sogenannten Holländer, sie muß etwa sieben gewesen sein damals: hat sie nicht ein altes, wissendes Gesicht? Ich nehme an, sie wird kaum anders aussehen, jetzt mit Vierzig.
      Sie verkantet den Handspiegel, sucht nicht mehr sich selbst, sondern beobachtet nur noch das Paar an ihrem Wagen, das sich jetzt zunickt, eine Bestätigung gefunden zu haben scheint. Judith erkennt, daß sie selbst erkannt worden ist, von einer hochbeinigen Frau mit tiefen, mißbilligenden Stirnfalten, die ihren Begleiter, einen schlaff wirkenden Mann im Polohemd, zum Seeufer mitzuziehen versucht. Widerwillig fügt er sich ihrem Drängen, hält sich hinter ihr bereit, ihr das erste Wort zu lassen. Jetzt läßt Judith den Spiegel sinken, wendet sich dem aufgestützt liegenden Mann zu und sagt hastig: Besuch, Berti; ich fürchte, wir bekommen Besuch. Und nachdem der Mann sich mit Verzögerung umgedreht hat: Das kann ja wohl nicht wahr sein, Berti, weiß du, wer da kommt? Der »innere Rhythmus« persönlich - Frau Schuster-Pirchala, meine Masseuse aus Bremen. Laß sie doch kommen, sagt Berti.
      Nach der Begrüßung - Judith nennt ihren Mann ohne Hemmung Doktor Thape -, die anscheinend deshalb so familiär gerät, weil man sich im Ausland begegnet ist, ziehen sie von der Lagerstelle an einen grünen Gartentisch um, von

Weitere Kostenlose Bücher