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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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dem die Lackfarbe, die sich in Streifen aufwirft, allmählich abplatzt. Hier sitzt es sich doch gemütlicher, sagt Judith, und vielleicht haben wir sogar die Chance, einen Kaffee zu bekommen. Frau Schuster-Pirchala, in eigentümlich gelassenem Abwehrkampf gegen Insekten - »die bevorzugen mich wegen meines süßen Blutes« -, lächelt skeptisch, sie ist jetzt drei Wochen in diesem Land gewesen, sie weiß, daß nicht einmal zornige Erwartung einen Kellner hier dazu bringt, mehr Wünsche zu beachten, als er gerade erfüllen möchte. Wir sind auf der Heimreise, sagt sie, und sagt: Mein Mann hat sich einen Jugendtraum erfüllt; am Ende hat er doch noch die wilden Pferde der Pußta gesehen, nicht wahr, Erich? Wenn sie nur Farbe hätten, sagt Berti, zieht dem Tisch geschrumpelte Lackstreifen ab und schnippt sie ins Wasser. Ich meine, sagt er, wieviel ließe sich unter Farbe verbergen, aber hier hat man sich wohl ein für allemal für grau entschieden. Er beugt sich vor, um das Nummernschild eines Busses zu erkennen, der knirschend auf dem Kieselsplitt des Parkplatzes manövriert. Sind sie es, fragt Judith, und er darauf: Wieder ein »A«, und nach einer Weile, beiläufig, als glaubte er den Landsleuten eine Erklärung schuldig zu sein: Uns steht nämlich ein Wiedersehen bevor - mit meiner Schwester und ihrem Mann. Weil es nicht anders ging, haben wir uns hier am Ufer des Balaton verabredet. Sie kommen mit dem Bus aus Stralsund. Ist das nicht DDR, fragt Frau Schuster-Pirchala und winkt erfolgreich einen vorbeihastenden Kellner heran, der auch gern bereit ist, Kaffee zu servieren, wenn auch nicht hier am Wasser, sondern nur, wie er sagt, »auf Terrasse an der Sonne«. Die Masseuse und ihr Mann fühlen sich auf den Kaffee angewiesen, sie verabschieden sich, man wird sich gewiß beim Abendessen sehen; dann gehen sie hintereinander die leichte, lichtgesprenkelte Erhebung zum Hotel hinauf. Wieder auf der Luftmatratze, hebt Judith die Schachtel mit den Photographien zu sich hinüber, stürzt einzelne, mit Gummibändern zusammengehaltene Päckchen heraus. Vorsicht, sagt Berti, bring sie mir nicht durcheinander. Sie löst das Gummiband von einer Serie, läßt die Photographien wie Spielkarten durch die Hände gleiten, sieht sich fest, schiebt die Bilder mit dem Daumen weiter, blättert überraschend zurück. Es wird mir schwerfallen, Trudi zu duzen, sagt die Frau plötzlich; im Brief ist es eher möglich, aber wenn sie erst vor mir steht... und noch schwieriger wird es bei Reimund - von ihm weiß ich nur, daß er Schiffsausrüster ist und seinen Namen in ziemlich steiler, sparsamer Schrift schreibt. Du wirst sehen, sagt Berti, er ist ein Prachtbursche; schließlich hat meine Schwester seinetwegen das Studium aufgegeben und ist Kindergärtnerin geworden. Aber warum hat er in all den Jahren nie mehr in einem Brief geschrieben als seinen Namen, fragt die Frau leise und steckt ein Sortiment von Bildern zusammen, sorgfältig, als könnte ein Vergleich ihr den benötigten Aufschluß bringen. Sie vergleicht die Photographien, deckt da etwas ab, schiebt da etwas zusammen, und dann fragt sie: Ist dir schon aufgefallen, daß Trudi auf keinem der Bilder lächelt, die sie uns in all den Jahren geschickt hat? Muß sie das denn, fragt der Mann, und die Frau darauf, in aufzählender Tonart: Hier im Garten nicht; hier vor dem Leuchtturm nicht - ich nehme an, das ist ein Leuchtturm mit dieser grünen Mütze -, nicht mal hier an Bord des Dampfers, den Reimund vermutlich ausgerüstet hat. Ich weiß nicht, Berti, aber ich hab das Gefühl, verwandte Fremde zu treffen. Ihr entgeht nicht die immer gleiche, unbestimmbare Schmerzlichkeit in Trudis Gesicht, der leichte Ausdruck von Abwehr, den sie für jeden Photographen bereithält. Der Mann schlägt eine Illustrierte zu, klopft eine Zigarette auf der Packung zurecht, grinst für sich und sagt: Vielleicht wirst du gleich feststellen, daß Reimund keinen Schlips besitzt, da er auf allen Photographien ohne Schlips abgebildet ist. Wenn du mir schon so kommst, sagt Judith - ich finde, daß der Mann deiner Schwester auf allen Bildern verkleidet aussieht: ein Intellektueller, der unter die Proleten gefallen ist und versucht, sich ihrer Mode anzugleichen. Hör doch auf damit, sagt Dr. Thape, ich möchte viel lieber wissen, was auf den Gedenksteinen vor all diesen Bäumen steht, den frisch gepflanzten, meine ich. Das kann ich dir sagen, Berti, es sind die Namen, die Berufe und Verdienste der Leute, die man gebeten

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