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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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daß ihr plärrender, gepuderter, vermutlich in nassen Windeln hegender Inhalt von adligem Geblüt ist: beachtet mich, zwar scheiße ich in die Strampelhose, doch alsbald werde ich unweigerlich einen bekannten Namen erben... Ganz recht, Eugen, wenn das kein Klassenbewußtsein ist... Nein, es ist mir nicht bekannt, daß du damals auch über den englischen Adel geschrieben hast... Unterdrückt? Sie haben deinen Artikel unterdrückt? Das wundert mich nicht; schließlich gab es da einige seltsame Sympathien; ich habe selbst eine Photographie gesehen, die einen gewissen Herzog von Windsor mit einem gewissen Robert Ley zeigt, ausgerechnet mit dem Leiter der Arbeitsfront.
      Dies Bild wollte ich nicht zeigen, ich weiß gar nicht, wie es in den Stapel geraten ist... Du vermutest richtig, Eugen: es ist das Albert Memorial in den Kensington Gardens... Meinst du, Eva? Aber ich fürchte, das wird Thea und Eugen kaum interessieren... In der Tat seht ihr nichts anderes als das Albert Memorial, ein reitendes Paar, Schläfer auf dem Rasen; hier in der Nähe geschah einmal ein Unglück, es war zur Zeit der Invasion... Cynthia wollte mit ihren Kindern die Straße überqueren, sie achtete immer darauf, daß alle sich an den Händen hielten, doch einige rissen sich los, und ein Lastwagen der Armee konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen... Der Schock war so groß, daß sie fast ein halbes Jahr im Hospital blieb, kaum sprach, und wenn, dann nur über Schuld... Ja, so war es auch: in ihren Augen traf die Schuld keinen einzelnen, sondern den Krieg, und dieser war nach ihrer Ansicht...
      Wie meinst du, Thea?... Ich glaube, dies ist keine Ge
    legenheit, zu vergleichen, ein Unglück gegen das andere auszuspielen, eine Not an der andern zu messen... Ich weiß, daß beim großen Bombardement von Hamburg viele Kinder verbrannten. Aber spürst du denn nicht, daß wir von verschiedenen Heimsuchungen sprechen? Zählen die Ursachen denn gar nicht mehr?... Nein Eugen, ich versuche nicht, die Opfer zu unterscheiden und für einige mehr zu beanspruchen als für andere. Ich frage mich nur, ob es zur gleichgültigen Geschäftsordnung der Geschichte gehört, daß wir die Opfer ein zweites Mal sterben lassen, indem wir darauf verzichten, Schuld zu übernehmen... Einverstanden, darüber können wir mal bei anderer Gelegenheit sprechen.
    Was sich auf diesem Bild so unscheinbar gibt: die »Straße
    der Tinte«, Fleet Street... Hier also sind die Kollegen von der Presse Zuhause, die »siebente Weltmacht«. Soviel ich weiß, ist die angemessene Geschichte dieser Straße noch nicht geschrieben worden - oder täusche ich mich, Eugen? Ein mühsamer, ein geduldiger Weg vom Verbot aller Gazetten bis zur Pressefreiheit... Den größten Widerstand übrigens sollen Kollegen geleistet haben, die vom Staat bestochen worden waren, gekaufte Schreiber und Schönfärber... Welch eine Zeit muß das gewesen sein, als auf dem ganzen Weg von Old Bailey bis zur Fleet Street Reporter Posten bezogen hatten, um das letzte Urteil an die Redaktion zu signalisieren - für die allerneueste Meldung... Jedenfalls, ich hatte die Ehre, Fleet Street als meine Adresse angeben zu können... Du auch, nicht, Eugen? Aber ihr wart doch auf einen Informationsdienst abonniert damals?... Eben, dich muß doch der Beruf regelmäßig hierher geführt haben... Nein, im »Ye Olde Cheshire Cheese« war ich nie aber ich habe von diesem alten Pub gehört. Ida Ehrlichmann war manchmal dort, sprach Zeitungsleute an, suchte sie für die Schicksale und die Situation ihrer »alten Kunden« zu interessieren... Sie erzählte mir von zähen Überredungsversuchen, die oft deshalb erfolglos blieben, weil ihre Erzählungen »unrealistisch« schienen... Wie mußte ihr zumute sein: sie, eine Sachverständige der Not, deren Berichte gleichwohl unglaubwürdig wirkten... Hier, in diesem Pub, sind ihr auch ihre Listen abhanden gekommen... Ich weiß, Eva, aber bisher gab es wohl keinen Anlaß, dir davon zu erzählen... Es waren die Listen mit den Adressen all ihrer Schützlinge, dazu private Äußerungen über ihre Lage und Tätigkeiten; ihr könnt euch vorstellen, was der Verlust für sie bedeutete. Und ihr könnt wohl auch ermessen, wie es sie traf, als einige ihrer »Kunden« anonyme Warnungen erhielten; drohende Aufforderungen zum Wohlverhalten gegenüber der alten Heimat... Es war nicht möglich, Thea... Sie hatte keine Gewißheit, nur einen Verdacht... Ich teile durchaus ihre Annahme, daß die Listen an die Botschaft

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