Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
sagt Dr. Thape, mußt du mir noch erzählen, was unsere kleine Sonja macht, die Meisterschwimmerin, und Ralf, und Bruno von nebenan. Trudi lächelt. Sonja, fragt sie - ihre jüngste Tochter hält alle Rekorde über die Rückenstrecken. Sonja ist mit Bruno verheiratet, der, soviel ich weiß, Richter geworden ist. Und Ralf - er ertrank bei dem Versuch, die Ostsee im Paddelboot zu überqueren. Bruno und Richter, fragt Dr. Thape skeptisch; und Trudi: Warum nicht? Was sollte dagegen sprechen? Immerhin, sagt Berti, haben wir zusammen die Schulbank gedrückt, und ich war oft genug bei ihnen Zuhause. Sein Vater hatte doch immer Scherereien mit der Polizei. Allerdings, sagt Trudi, aber sein Vater hatte diese Scherereien zur richtigen Zeit.
Reimund gähnt, angelt sich sein Jackett mit dem groben Fischgrätenmuster. Es ist nun mal so, sagt er, alles färbt auf uns ab, die Dinge, die Ideen, die Verhältnisse, so oder so, je nachdem, wo einer lebt. Er bittet um Entschuldigung für sein Gähnen und erinnert daran, daß sie heute neun Stunden im heißen Bus saßen, Trudi und er. Sicher hebt er den Hemdkragen übers Jackett und streicht ihn glatt. Leider, lieber Reimund, bin ich nicht ganz deiner Meinung, sagt Berti: auf die Blassen, die Farblosen, da färben die Verhältnisse vielleicht ab, aber nicht auf Leute, die sozusagen eigene Grundfarbe mitbringen.
Draußen auf dem Flur verhandeln sie mit gedämpften Stimmen über den Zeitpunkt des gemeinsamen Frühstücks; Reimund besteht auf neun, er droht, daß er völlig unergiebig sei vor neun, also lassen sie es bei neun und geben einander nur die Hand und winken sich noch einmal zu.
Während Berti sich unter gespanntem Schweigen auszieht, raucht er die letzte Zigarette. Judith sitzt auf ihrer Seite des Doppelbetts, erwartungsvoll wie immer, um gemeinsam, wenn auch nicht den ganzen Tag, so doch die wichtigsten Erfahrungen des Tages zu bilanzieren. Nach einer Weile sagt sie: Eins steht fest, bei Frau Schuster-Pirchala kann ich mich nicht mehr sehen lassen, nach allem. Pichalla oder Tschintschilla, sagt Berti erlöst und in einer Bewegung innehaltend, du findest zehn andere, die dich durchkneten. Wer hat sie nur ausgerechnet heute hierher geschickt, diese Frau, die ja wohl die Empfindlichkeit einer Straßenwalze hat? Ich bin immer noch der Ansicht, sagt Judith, daß du sie anders hättest behandeln müssen. Anders? Sie, die sich in eine Familienfeier drängt? Die sofort das Wort nimmt und quasselt, als gehöre sie dazu? Vielleicht, sagt Judith, vielleicht hat sie selbst Verwandte drüben. Ich begreife einfach nicht; sagt Berti, wie du diese Nervensäge in Rosa in Schutz nehmen kannst: sie hat mir die Stimmung für den ganzen Abend vermasselt. Immerhin, sagt Judith, als ich sie am Wasser entdeckte, da hast du mich gebeten, sie kommen zu lassen.
Sie liegen nebeneinander im Bett, wie hergerichtet, jeder die rechte Hand unterm Hinterkopf, den Blick zur Decke; nur die Nachttischlampe brennt. Es ist aber so, sagt Judith, ich komme an Trudi einfach nicht heran. Und hast du gehört, wie beiläufig sie mir zu verstehen gab, daß sie all die Sachen, die ich ihr schickte - manchmal ohne dein Wissen - daß sie all die Sachen zum Roten Kreuz trug? Das ist doch wohl nicht wahr, sagt Berti, das hab ich gar nicht mitbekommen. Das ist typisch Trudi; aber darüber reden wir morgen ein Wörtchen. Zum Frühstück mußt du ihr die Uhr mitbringen, denn im Unterschied zu Reimund hat sie ihr Geschenk prompt vergessen. Ich mag Reimund, sagt Judith langsam, und du? - Er hat mich nicht ein einziges Mal gefragt, was ich eigentlich tue, sagt Berti.
Dr. Thape im geblümten Freizeithemd, Judith in ausge bleichten, aber gebügelten Shorts: so kommen sie, Grüße murmelnd, die ausgelegte Treppe hinab, scheren, bevor sie das Restaurant betreten, zum Empfang hinüber, wo neuere Zeitungen und Illustrierte liegen. Ein lachender Junge in reichlich zugemessener Portiers-Uniform - er scheint zu wissen, welch einen Eindruck er in dem viel zu großen Anzug hervorruft - übergibt Dr. Thape einen Brief; vom Ständer mit den Ansichtskarten sieht Judith zu, wie ihr Mann den Umschlag aufreißt, liest, den Brief sinken läßt, noch einmal liest und dann fassungslos nach ihr sucht. Sie geht zu ihm, sie fragt: Aus Wien? Müssen wir abreisen? Von Trudi, sagt er; hier, lies mal, du glaubst es nicht. Und, erregt und geringschätzig zugleich: Es hat sich ihnen eine Chance geboten, sehr früh heute morgen, die
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