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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Thape das schweißglänzende Gesicht, er blickt allein Trudi an und hält ihr sein Glas entgegen: Und jetzt, sagt er, wo wir ganz unter uns sind, möchte ich noch einmal mit euch auf unser Wiedersehen anstoßen. Der Kellner unterbricht ihn scheu, er bittet um Aufklärung, was nun mit den beiden Rohkosttellern geschehen solle: Hier nix essen, fragt er, und Dr. Thape, unwirsch: Dort hinten, sehen Sie, am Tisch neben der Eingangstür - dort wird das Zeug erwartet. Köche und Kapellen, sagt Reimund in langgestrecktem Genuß, solange es die hier gibt, lohnt sich immer eine Fahrt nach Ungarn.
      Judith entschuldigt sich, sie muß zur Toilette, ihr Weg führt
    sie zwangsläufig an dem Tisch vorbei, an dem nun die Bremer Bekannten vor ihren Rohkosttellern sitzen. Trudi beobachtet ihre Schwägerin, die dort an den Tisch herantritt und sich hastig bespricht, vermutlich einzulenken versucht. Wißt ihr, sagt Berti, ich habe mich so auf dies Wiedersehen gefreut, daß ich schon die Stunden zählte, um die ihr euch verspätet habt. Und dann drängen sich diese Fremdkörper hier herein. Prag, sagt Reimund, daß wir uns verspätet haben, lag einfach daran, daß sich ein junges Mädchen bei einem Aufenthalt in Prag selbständig machte - du weißt schon. Sie traf sich dort mit so einem leichtfertigen Westler, der sie vermutlich rausbringen wollte, hat man im Bus erzählt. Aber das kann man doch verstehen, sagt Berti, und Reimund achselzuckend: Ich weiß eben nicht. Vater, zum Beispiel, sagt Trudi, er kann es bis heute nicht verstehen, daß du damals weggegangen bist, Er sagt, du hast uns alleingelassen. Berti möchte etwas entgegnen, doch die Zigeunerkapelle am Nebentisch, mit geprobter Leidenschaft aufspielend, bescheinigt ihm sogleich die Unterlegenheit seiner Stimme, er winkt ab, er verzichtet. Zum Kaffee muß man hier einfach einen Pflaumenschnaps trinken; sogar Judith läßt sich dazu überreden, sie, die sich in allzu höflichem Schweigen eingerichtet hat, obwohl sie von Reimund angenehm enttäuscht zu sein scheint. Also nun von Anfang an, Trudi, und ganz gemächlich - wie geht es bei euch zuhause? Trudi blickt ihren Bruder an, hebt ratlos die Schultern, da verhindern entweder Fülle oder Gewohnheit eine schnelle Auswahl unter Erlebtem: Tja, Berti, was soll ich dir darauf antworten? Das Haus steht, Vater ist gesund, in deinem Zimmer wohnt seit einigen Jahren eine freundliche alte Frau, eine Lehrerin aus Riga, die nie die Jalousien vor ihrem Fenster öffnet. Reimund hält dem Kellner auffordernd sein leeres Glas entgegen. Dann streicht er Trudi vergnügt über die vernarbte Wange und bittet sie um Entschuldigung für die Unterbrechung. Also, wenn ich auf eine so allgemeine Frage antworten sollte, sagt er, ich würde zuerst das herausrücken, was zählt. Auf die Frage: wie geht's? würde ich nur sagen: keine Ersatzteile. Und dann im einzelnen begründen. Auf eine neue Dachrinne fürs Haus warten wir seit anderthalb Jahren; auf einen Verteilerhahn im Badezimmer siebzehn Wochen. Binderfarbe - du weißt, für den Außenanstrich des Hauses - hat man mir vor vier Monaten versprochen, und auf eine ausziehbare Bodenleiter warte ich mittlerweile schon so lange, daß ich sie mir demnächst selbst bauen werde. Da haben doch viele schon, was sie erfahren mochten, um sich selbst beglückwünschen zu können zur Wahl ihres Aufenthalts. Na, sagt Berti, dafür sind eure Mieten erheblich niedriger.
      Sie beschließen, genauer, Dr. Thape schlägt vor, aufs Zimmer hinaufzuziehen, da spricht sich's ungestörter, da ist man unter sich - vorausgesetzt, Trudi, ihr könnt euch solange von euren Leuten absentieren. Er übernimmt die Rechnung, bittet lediglich um eine Quittung, und ein außergewöhnliches Trinkgeld fördert die Bereitschaft des Kellners, zwei Flaschen Wein aufs Zimmer zu bringen. Berti nimmt Trudis Arm, Reimund hakt sich bei Judith ein: so schieben sie an den Tischreihen vorbei zum Ausgang. Die Bremer Bekannten wenden sich vorsätzlich ab.
      Sieh mal, Trudi, sagt Reimund, dies Zimmer ist nicht nur doppelt so groß wie unseres, es hat sogar einen Schreibtisch, es hat einen Balkon und einige Polsterstühle für liebe Gäste. Warum behandeln uns die sozialistischen Freunde nicht ebenso zuvorkommend? Er entdeckt die Badehosen unterm Fenster, er sagt: Ah, wie ich sehe, seid ihr schon in den Balaton gestiegen; ein merkwürdiger See, und wißt ihr, warum? Bei keinem Gewässer der Welt gibt es diese Unverhältnismäßigkeit von Wind und

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