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Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Wellen, das heißt, die Wellen gehen hier sehr viel höher, als es der jeweils herrschenden Windstärke entspricht. Judith läßt hinter ihrem Rücken den Koffer zuschnappen und tritt vor sie hin mit zwei original verschnürten Päckchen. Sie sagt: Wir haben euch ein Geschenk mitgebracht, nur einige Kleinigkeiten; dies ist für dich, Reimund, und das Viereckige für Trudi. Auf ein mißbilligendes Kopfschütteln sagt Berti: Wir konnten es eben nicht lassen. Beim Anblick der massiven, aus Weißgold gearbeiteten Manschettenknöpfe sagt Reimund: So, Trudi, jetzt bist du gezwungen, mir das entsprechende Hemd zu kaufen; doch die Frau wendet sich ihm nicht zu, sie starrt regungslos auf den Armreif mit der eingelegten Uhr und den sprühenden Steinen, als überlegte sie, ob es für sie überhaupt eine Rechtfertigung gäbe, solch ein Geschenk anzunehmen. Ach, Berti, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
      Alle drei Lampen des Zimmers brennen, Berti läßt die Photographien wandern, Judith erläutert ihrem Schwager die Lage und Beschaffenheit des Hauses im Bremer Vorort. Und du mußt dir vorstellen, daß dies alles Weideland war, vor nicht einmal zwanzig Jahren. Schön ist es, am Abend auf der Terrasse zu sitzen und auf der Weser, nicht mal sehr fern, die erleuchteten Schiffe vorbeiziehn zu sehen -, da mußt du glauben, sie ziehen über die Wiesen. Vielleicht sind sogar einige dabei, sagt Berti, die du ausgerüstet hast. Dann macht er die Verwandten mit einer neuen Serie bekannt: Hier seht ihr nun das Haus von innen: meine Hobby-Werkstatt, die Südansicht des Living-Rooms, Judiths Schlafzimmer und dahinter ihr eigener Aufenthaltsraum. Und für all das, fragt Reimund, habt ihr Handwerker, ja? Judith, sagt Berti, sie tapeziert, malt, baut sich Regale zusammen - nur an elektrische Leitungen traut sie sich nicht heran. Also das, was Trudi bei uns macht, sagt Reimund. Während Judith Wein einschenkt, sagt sie: Ihr müßt uns gleich eure Bilder zeigen, und Trudi darauf: Bilder? Wir haben keine Bilder mitgebracht.
      Über ihr Glas hinweg mustert Judith ihre Schwägerin, prüfend, erstaunt auch, vielleicht um herauszubekommen, was sie zwingt, Trudis Überlegenheit anzuerkennen. Sie mustert ihre Kleidung: die Spangenschuhe, das olivfarbene Kostüm, das zerknittert ist von der Reise, den Anhänger auf dem Revers, der offenbar eine Hansekogge unter prallen Segeln darstellt. Sie sagt plötzlich, obwohl sie ursprünglich etwas anderes sagen wollte: Es freut mich, Trudi, daß dir die Sachen gefallen, die ich dir so nach und nach geschickt habe - auch wenn sie gebraucht waren. Es waren auch schöne Sachen, sagt Trudi, bei uns kaum zu bekommen, sogar beim Roten Kreuz waren sie erstaunt.
      Reimund hat nichts dagegen, daß Berti eine neue Flasche bestellen will, er gibt mit einer Warum-nicht-Geste seine Zustimmung und nimmt eine voraufgegangene Bemerkung auf: Du irrst dich - heute kann man nirgendwo mehr die pure Freiheit wählen, sondern nur eine mehr oder weniger umgängliche Bürokratie. Die nämlich befindet darüber, welche Ersatzteile du bekommst, welche Aufstiegschancen du hast, in wievielen Organisationen du aktiv sein mußt, um als vertrauenswürdig zu gelten. Ich sage dir: eine bessere Bürokratie, und die Exportfähigkeit des Sozialismus nimmt zu. Und ich sage dir, Reimund: auch nach fünf Generationen Sozialismus werden die Leute nicht aufhören zu verlangen, was er ihnen vorenthält, nämlich die entscheidenden kleinen Freiheiten. Aber da wir uns nicht gegenseitig überzeugen wollen, sollten wir die Politik aus dem Spiel lassen. Der Kellner scheint die Rüge nicht verstehen zu wollen, die Dr. Thape ihm dafür erteilt, daß er eine neue Bestellung zu lässig ausführte. Er entläßt ihn blicklos, mit gesenktem Gesicht, ohne ihm ein Trinkgeld zu geben. Immer noch übelnehmerisch erkundigt er sich bei Judith, ob sie das Blitzlicht bereit habe. Wenn ihr einverstanden seid, sagt er, möchten wir jetzt einige Aufnahmen machen. Einzeln, paarweise, überkreuz photographieren sie einander auf dem Zimmer, der aufflammende Blitz blendet so stark, daß zumindest Judith fürchtet, sie werde auf allen Bildern nur mit geschlossenen Augen zu sehen sein. Danach sagt Dr. Thape: Das zumindest hätten wir. Und dann möchte er, nur der Ordnung halber, fragen, wie lange Trudi und Reimund in Ungarn bleiben werden. Vierzehn Tage? Leider, sagt er, muß ich am Montagabend schon wieder in Wien sein.
      Sie trinken einander zu. Und nun, Trudi,

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