Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen

Titel: Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
ich, daß uns ein hochgewachsener Typ in der Dunkelheit folgte, ein gleitender Schatten, der verharrte, wenn wir verharrten, der den Schritt beschleunigte, sobald wir zulegten, weshalb uns nichts anderes übrig blieb, als ihn hinter einer Straßenecke abzufangen und in die Zange zu nehmen. Mit seinen zweihundert Pfund Lebendgewicht verlegte Gregor ihm den Weg, während ich von hinten an ihn herantrat und ihn fragte, welch ein Geschäft er uns vorschlagen wollte. Glück, sagte er, falls die Herren Glück suchen - ich könnte Sie hinführen. Darauf sagte Gregor nur: Schieb ab, und trat zur Seite, Wir sahen ihm nach - auch er blickte mehrmals zurück -, und dann sagte Gregor: Ich geb's auf, mein Alter. Von mir aus können wir dort einfallen, in diese Eck-Kneipe. In dem ebenerdigen Fenster der Kneipe leuchtete ein veralgtes Aquarium, spindeldürre Zierfische zuckten unter dem Kraut hervor, standen sich glotzäugig gegenüber. »Zum letzten Anker« hieß die Kneipe, der Inhaber nannte sich Baas Ruschewey. Gregor klopfte mit dem Fingerknöchel auf das Namensschild und sagte: Uns dürfte solch ein Name nicht einfallen, mein Alter; klingt nach überanstrengter Phantasie.
      Er zog die Tür auf und trat vor mir ein. Es war eine solide, sparsam erleuchtete Kneipe, mit Tischen, die im Boden verankert waren, mit einer derben Theke und einem Bord, auf dem steife, verstaubte Wimpel standen und ungeputzte Pokale und Photographien. Mißmutig erwiderte der stämmige Wirt unseren Gruß, geradeso, als zwängen wir ihn durch unser Erscheinen zu ungeliebter Tätigkeit. Wir hatten freie Wahl oder doch fast freie Wahl, denn nur ein einziger Tisch war besetzt, in einer Ecke bei den Spielautomaten. Ich überließ es Gregor, einen Tisch zu bestimmen; ich sagte: Mir ist es egal, wo wir sitzen - da spürte ich, wie er stutzte; mit einer Hand tastete er nach mir, mit der anderen wies er überrascht zu einer Nische unter dem Aquarium: Guck mal, mein Alter, wer dort sitzt. Vor dampfendem Tee, die lange Zigarettenspitze schräg vor dem Gesicht, saß Dieter Klimke und lächelte, als hätten wir ihn ertappt. Er stand auf, er lud uns nicht ein, neben ihm zu sitzen, doch nachdem wir uns aus den Mänteln geschlagen hatten, angelten wir uns die freien Stühle an seinem Tisch und nahmen von seinen Zigaretten.
      Auch nur so reingeschneit, fragte Gregor. Klimke nickte. Die Aufmerksamkeit, sagte er, die Gespräche und die Aufmerksamkeit: es ist meine erste Schriftstellertagung, außerdem bin ich ungeübt im Zuhören. Ich lebe allein, in einem ehemaligen Pförtnerhaus, neben einer aufgelassenen Fabrik.
      Sie haben sehr gut abgeschnitten mit Ihrer Lesung, sagte ich. Er sah mich ungläubig an, eingedenk all der Einwände, die nicht zuletzt Gregor erhoben hatte; darum fügte ich hinzu: Unter Schriftstellern gibt es keinen einstimmigen Sieg. Glauben Sie mir, wenn Kafka heute gelesen hätte oder Dostojewskij, die wären nicht besser weggekommen als Sie.
      Der Wirt trat an unseren Tisch, bereit, unsere Bestellungen zu hören; schweigend nahm er sie zur Kenntnis und ging ruckend, eine schwerfällige, aufgezogene Puppe, zur Theke zurück. Warum ist es so unter Schriftstellern, fragte Dieter Klimke; und Gregor darauf: Jeder ist eine Ein-Mann-Partei. Jeder ist ein Gefangener seines eigenen Programms.
      Einer der Spielautomaten in der Ecke schien einen Hauptgewinn auszuspucken, stoßweise rotzte er Münzen in die Schale, doch der Bursche, der dort spielte, las sie nur gleichmütig auf und fütterte den Automaten von neuem. Doch nicht nur ihn, auch die Frau im hellen Trenchcoat schien der Gewinn gleichgültig zu lassen; sie hob nicht den Blick von ihrem Glas, sie saß nur da mit ihrer ratlosen Schmerzlichkeit, rauchte hastig, fühlte nach einem frischen Pflaster über dem Jochbein. Sie scheint sich beruhigt zu haben, sagte Klimke, eben, als sie trinken wollte, zitterte ihre Hand so sehr, daß ich glaubte, sie würde es nicht schaffen. Der Wirt brachte uns Bier und einen doppelten Slivovitz, wir bestellten gleich eine neue Lage und prosteten uns zu. Dieter Klimke hielt sich an seinem Tee fest. Er lächelte verkniffen, musterte Gregor aus den Augenwinkeln, als erwarte er etwas Besonderes von ihm, einen neuen Einspruch zu seiner Lesung oder eines seiner Bekenntnisse zur Schwerkraft, und dann war er es, der sich an Gregor wandte: Sie waren nicht einverstanden mit meinen Texten? So ist es, sagte Gregor. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagte Klimke, nannten

Weitere Kostenlose Bücher