Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Versuche mit Ratten zeigen.
Oma Pottkämper
dagegen schien fitter zu sein als die meisten 60-Jährigen. Dass sie Ginkgo für ihre
Hirndurchblutung brauchte, war eine fromme Lüge. Sie aß mehr Pommes frites als jeder
Achtjährige, trank 56%igen Rum, konsumierte tierische Fette, wo immer sie verfügbar
waren und bewegte sich nur wenn unbedingt nötig.
»Vermeide
alles, was gesund ist«, hatte ihr Hausarzt ihr geraten, der selbst nach dieser revolutionären
Einsicht lebte. »Das sogenannte Gesunde bringt den Menschen um.«
Und wenn
man ihr widersprach, warf Oma gern mit Belegen um sich: »Der Erfinder des Joggings
erlitt beim Lauf einen Herzinfarkt. Computertomografie verstrahlt die Menschen mehr
als Röntgen. Größere Mengen Vitamin E erhöhen die Sterblichkeit und zu viel Beta
Carotin fördert Lungenkrebs.«
Herbert
half sich mit »Fidschiinseln«, seine Bezeichnung für Glückspillen. Als ich ihn kurz
vor unserer Abreise im Hotel besuchte, lag ein ganzes Dutzend dieser knallgelben
ovalen Pillen auf seiner Nachtkonsole.
»Wir Menschen
führen eine Art Materialschlacht gegen die Natur und das Universum, um unsere Schwächen
auszugleichen«, befand er. »All die Web- und Konstruktionsfehler, die im Laufe der
Evolution entstanden sind. Und dies hier ist momentan das Nonplusultra aus einem
Labor in Medellín, Kolumbien. Streng geheimes Rezept. Willst du eine?«
»Danke,
heute nicht«, sagte ich. »Nimmt Anja auch … Fidschiinseln ?«
»Nein, Anja
ist naturstoned.«
»Wieso hat
sie dann ständig Kopfschmerzen?«
»Zu wenig
Liebe, nehme ich an …«
»Im Ernst?
Was ist das für eine bescheuerte neue Theorie? Seit wann bekommt man denn von Mangel
an Sex Kopfschmerzen?«
»Liebe,
nicht Sex.«
»Du meinst
christliche Liebe?«
»Es gibt
nur eine Form der Liebe.«
»Heißt das,
in einer festen Beziehung hätte Anja keine Kopfschmerzen mehr? Das wäre allerdings
ein revolutionäres neues Therapiekonzept.«
»Und welchen
Schluss ziehen wir daraus?«
»Dass es
für Anjas Gesundheit lebenswichtig ist, mit dir von einem blöden Schlagerfestival
zum anderen zu ziehen?«
Herbert
nickte und kratzte sich zufrieden am Kinn.
»Offenbar
bist du doch nicht auf den Kopf gefallen, Pottkämper. Am Anfang hab ich nämlich
geglaubt, dein Gehirn arbeitet auf Sparflamme.«
»Da sieht
man mal wieder, wie man sich irren kann. Ich hab dich gleich für so was wie ’nen
Übermenschen gehalten, Herbert. Einen neuen Einstein der Musik. Allerdings mit wesentlich
mehr Grips.«
»Im Ernst?
Du willst mich verscheißern?«
»Nein, nehmen
wir nur mal deinen Schlager ›Der Tag an dem Rahel mir verzieh …‹ Wie du darin
den Namen Rahel lang ziehst: R – A – H – E – L, das zeugt einfach von überlegenem
Musikverständnis.«
»Tatsächlich?«,
fragte er immer noch ungläubig. »Das sehe ich auch so.«
»Also hör
mal«, sagte ich. »Ich habe noch eine Talkshow mit dem Bundespräsidenten, der Familienministerin
und dem Vorsitzenden der Ethikkommission beim Sender Watt-2000. Danach können wir
uns meinetwegen in die weite Welt verpissen. Mein Alter ist gerade von einem Gespenst
namens Ambrosius Nebelklein besessen und wird sich wohl bald sein zweites Ohr abschneiden.
Und meine Mutter hüpft den ganzen Tag über nackt im Pelzmantel den Hummeln und Bienen
nach über die Wiesen.«
»Völlig
nackt?«, fragte er. »Hört sich interessant an.«
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»Wozu nimmst du denn eine Tasche
mit?«, fragte meine Mutter. »Willst du verreisen?«
»Ich habe
heute meinen Fernsehauftritt. Da braucht man Sachen zum Wechseln.«
»Für einen
Tag?«
»Man könnte
Achselgeruch bekommen oder sich Rotwein über die Hose kippen.«
»Rotwein
…?«
»Orangensaft.«
»Und die
Schuhe?«
»Vier, fünf
Paar Markenschuhe sind bei den Fernsehfritzen Standard.«
»Gut, dass
wir nichts mit diesen Leuten zu schaffen haben.«
»So eine
wie du, die gern barfuß über die Wiesen hüpft, wäre da auch fehl am Platze«, sagte
ich und umarmte sie zum Abschied. Ich hielt sie wohl etwas länger fest als gewöhnlich
– bei einer Reise um den halben Globus weiß man nie, ob man sich noch einmal wiedersehen
wird. Und wie Mütter sind – sie haben eben gute Instinkte …
»Was ist
los?«, erkundigte sie sich misstrauisch. »Warum bist du plötzlich so anhänglich?«
»Ich glaube,
ich liebe dich schon, seit ich denken kann.«
»Tatsächlich?
Ist mir noch nicht aufgefallen.«
So war sie
– eine Mutter wie die Imbissverkäuferinnen an der Ecke, die einem
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