Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Kochen-Specker-Theorem
in Frage gestellt. Deshalb bleibt die Annahme, wir seien in unseren Entscheidungen
vollständig determiniert, bloße Spekulation. Alle Versuche, das Wesen des Bewusstseins
aus der Materie herzuleiten, sind gescheitert. Murphys Gesetz führt also nicht zwangläufig
in die Katastrophe.
Oder ich
verfiel der Neigung unserer modernen Lyrik, die Schattenseiten des Lebens widerzuspiegeln
und dabei so tief im Sumpf negativer Gedankenwelten zu versinken, dass man sich
nicht einmal mehr wie Münchhausen am eigenen Schopfe aus dem Schlamassel herauszuziehen
vermochte. Dann ging ich manchmal im Zimmer auf und ab und rezitierte mit halblauter,
künstlerisch prononcierter Stimme:
»In engen
Zimmern wimmern blinde Kinder. In trüben Tümpeln treibt ein toter Hund …«
»Was ist
los?«, fragte mein Alter, der gerade mal wieder seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Ist das nicht Ringelnatz? Aus dem Abendgebet einer erkälteten Negerin?«
»Nein, ein
unbekannter deutscher Dichter.«
»Hört sich
ziemlich ontologisch an«, rief Oma aus dem Schlafzimmer.
»Und ich
dachte immer, Albert hält sich für den größten Existenzphilosophen des Jahrhunderts?«,
sagte mein Alter. »Faselt er nicht ständig vom Informationsdefizit, von der Nichtprognostizierbarkeit
und Ohnmacht des Menschen?«
»Das ist
fast dasselbe wie Ontologie«, erklärte Oma.
»Wozu brauchtest du denn einen Stiefsohn
mit Einsteins Gehirn?«, fragte ich, als P. senior wieder einmal mein Zimmer inspizierte.
»Ging’s dir nur um Geschäfte, um den großen Reibach mit einem Wunderkind? Ich meine,
mir kam es nie so vor, als wenn dir sonderlich viel an meiner Begabung läge?«
»Das waren
nur Erziehungsmaßnamen eines Vaters, der ein widerspenstiges junges Geistesmonster
im Zaum halten musste«, sagte mein Alter in einem Tonfall, als sei es die natürlichste
Sache von der Welt, nicht nur seine leiblichen Kinder zu lieben. »Es war doch ein
Glücksfall, dass du das Gehirn des großen Einstein geerbt hast. Sei froh, dass es
nicht das Gehirn deiner Mutter ist.«
»Und was
hast du dir davon versprochen?«
»Na, einen
zweiten Albert Einstein natürlich, was sonst?«
»Wer weiß
schon, welche Sprünge die Gene bei der Vererbung machen?«
»Es gibt
genug Hinweise darauf, dass die Gene neben physischen Eigenschaften auch eine Art
Bauplan für die Persönlichkeit darstellen«, sagte er. »Den Versuch war es doch wert,
oder? Ich meine, nachdem ich schon mal den falschen Behälter gestohlen hatte. Außerdem
war ich damals nicht besonders potent. Deine Mutter wollte unbedingt einen Sohn.«
»Was denn,
sie glaubt immer noch, die Samenspende sei von dir?«
»Nein, inzwischen
hat sie kapiert, wer dein Vater ist.«
Im Frühjahr dieses Jahres versuchten
die Fahnder des Sozialamts meinem Vater nachzuweisen, dass er Besitzer einer zwölf
Hektar großen Insel in der Karibik sei. Angeblich verfüge unser Anwesen bei Anguilla
über einen Jachthafen, eine schlossähnliche Hazienda und etwa 23 Bedienstete, darunter
18 Mulatten. Außerdem betreibe er eine mit der EU assoziierte Bank, deren einziger
Zweck Steuerhinterziehung mittels obskurer Stiftungen sei. Die Fotos, die man meinem
Alten vorlegte, sahen ganz ordentlich aus. Eine Villa wie in den Hollywoodfilmen,
wo man immer noch einen drauflegt, um dem Publikum zu imponieren.
Allerdings
kamen sie nicht allzu weit mit ihrer Beweisführung, weil Pottkämper senior sie einfach
schweigend durch unsere armselige Sozialwohnung führte und ihnen zwischendurch ganz
beiläufig seine an mindestens fünf Stellen durchgescheuerten weißen Tennissöckchen
zeigte, die aussahen wie gebrauchte Pariser.
Es ist eine
immerwährende Kärrnerarbeit im Weinberg des Herrn. Die Sonne scheint nur, wann sie
will, der Boden ist karg und die Trauben sind sauer.
Bernd Köstering
Goethesturm
E-Book: 978-3-8392-3980-3 / Buch: 978-3-8392-1330-8
»Auch der Abschluss der Goethe-Trilogie ist ein origineller
Kriminalroman, der nicht nur Goethe-Fans großen Lesegenuss bietet.«
Weimar, 2007. Hendrik Wilmut könnte
es gut gehen. Er ist anerkannter Goetheexperte, glücklich verheiratet und seine
Espressomaschine läuft einwandfrei. Doch an ruhige Herbsttage ist in Weimar
nicht zu denken. Am Deutschen Nationaltheater verschwindet eine Schauspielerin.
Dann geschieht ein Mord. Hendrik ist wieder mittendrin in einem Fall und
Goethes »Clavigo« scheint der Schlüssel zu sein.
Kurt
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