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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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Varianten der Vagina mit unterschiedlich verteilten Spiralnebeln.
Danach schien sich alles zu wiederholen, vielleicht nach dem bekannten Prinzip der
ewigen Wiederkehr des Gleichen, wie es einige Kosmologen vertreten.
    »Müssen
es denn unbedingt so ordinäre Löcher sein?«, fragte ich. »Geht’s nicht auch etwas
weniger drastisch?«
    »Was heißt
ordinär? Die Realität selbst ist ordinär. Nebelklein nennt das Gleichnishaften
Realismus .«
    »Ich glaube,
dein Gehirn zieht sich langsam in Richtung Rückenmark zurück. Und man kann nicht
behaupten, dass es dort ungestört arbeitet.«
    »Sei nicht
so respektlos deinem alten Vater gegenüber. Ambrosius Nebelklein hat wie jeder ein
Recht auf sein eigenes Kunstverständnis.«
    »Ist es
vielleicht, weil dir die Dinge über den Kopf wachsen?«
    »Was?«,
fragte er verständnislos.
    »Dein anderes
Ohr bleibt aber dran?«
    »Ich verstehe
nicht, worauf du hinaus willst?«
    »Darauf,
dass Anja verschwunden ist und dass ich nächste Woche im Fernsehen auftrete. Ich
meine, malst du deshalb so bescheuert?«
    »Hab ich
mich etwa nicht klar genug ausgedrückt? Nicht ich bin es, der mir beim Malen die
Hand führt, sondern Ambrosius Nebelklein.«
    »Oh, mein
Gott«, sagte ich. »Es wird wohl besser sein, wenn ich für ein paar Tage verschwinde.
Womöglich ist deine Krankheit ja ansteckend.«
     
    Als Oma Pottkämper meine Jeans aus
der Wäschetrommel holte, weil sie ihr verrottetes weißes Leinennachthemd von 1492
waschen wollte, fand sie in meiner Hosentasche ein Programm von Herberts letztem
Liveauftritt. Es war eine seiner üblichen Heulorgien, völlig unstrukturiert, aber
zu Herzen gehend. Wahrscheinlich fielen Millionen Frauen auf der Welt dabei in Ohnmacht.
    Prompt lief
Oma mit dem völlig verblichenen und unleserlichen Prospekt durchs Haus und rief
immer wieder lauthals und völlig außer sich:
    »Das ist
er … das ist mein Idol …«
    Ich fragte:
»Was denn, im Ernst? Du willst uns doch nicht weismachen, dass dir dieses Katzengejaule
gefällt?«
    »Mach dich
nicht über meinen Musikgeschmack lustig. Ich möchte, dass du uns fünf Karten besorgst.«
    »Wieso fünf?«
    »Na, für
die ganze Familie.«
    »Großer
Gott, nein …«
    »Fünf Tickets«,
beharrte sie und begann in ihrem zerschlissenen Portemonnaie zu wühlen. Was sie
dabei zutage förderte, waren schon ziemlich abgegriffene Münzen von 1954.
    »Euro, Omi,
Euro. Inzwischen leben wir nicht mehr im Zeitalter der Deutschen Mark.«
    »Versuch
mir nicht einzureden, ich sei senil …«
    Plötzlich
schwenkte sie einen Fünfhunderteuroschein. Es sah aus wie Zauberei. Aber ich glaube,
er war nur zu weit ins Futter gerutscht.
    »Wie kommst
du denn an einen Fünfhunderter?«, fragte ich und ließ meine Finger ehrfurchtsvoll
über die feine Schraffierung neben den Nullen gleiten.
    »Was übrig
bleibt, ist für dich. Ich finde, das bist du deiner alten Großmutter schuldig, nachdem
ich so viel Mühe darauf verwendet habe, deinen Erzeuger großzuziehen.«
    Der Logik
dieses Arguments konnte man sich nur schwer entziehen, auch wenn ihr Erziehungsversuch
gründlich misslungen war. Fragte sich bloß, wie Herbert einen so geballten Auftritt
der Familie Pottkämper verkraften würde, vermutlich mit Ausschlag und schlechtem
Atem.
    »Und wenn
das Konzert ausverkauft ist?«
    »Wenn, wenn,
wenn … Holzpflock in den Arsch und ab«, sagte Oma. »Wenn die Sonne im Westen aufginge,
wäre sie ein Hühnerei.«
    »Wieso das
denn?«
    »Na, wegen
der Gravitation.«
     
    Glücklicherweise war Schlagersänger
Herbert momentan wieder einmal unpässlich. Gesundheitlich verkörperte er das genaue
Gegenteil von Oma Pottkämper. Herbert litt an Heuschnupfen, Zahnstein und depressiven
Verstimmungen. Er war allergisch gegen Leitungswasser, Tageslicht, Aspirin, Emaillebadewannen
und Emanzipation. Gespräche über den Sinn des Lebens verursachten ihm Übelkeit.
Und von schlechten Kritiken bekam er Verdauungsstörungen.
    All sein
Leiden an der Welt und am Publikum (und am Orchester und den Musikmanagern und den
Fans, die ihn nicht schlafen lassen wollten und den Verstärkern, die nicht verstärkten
und den Lautsprecherboxen, die immer zum falschen Zeitpunkt durchknallten) – alle
diese Widrigkeiten ließen ihn jeden Tag kränker werden. Inzwischen war Herbert in
einem Stadium, in dem seine Lichtallergie ihm diktierte, wann die Vorhänge auf-
und zugezogen wurden. Irgendwann wird Stress organisch und man kann einen bleibenden
Hirnschaden davontragen, wie

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