Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
korrigieren. Mir drehte sich schon der Magen um, wenn ich sein Geschreibsel
im Briefkasten fand und es mit spitzen Fingern in den Mülleimer befördern musste.
Ich saß
also in der Falle. Ob in der Schule oder zu Hause, wohin ich auch ging – überall
Fallgruben.
3
Hinsichtlich meiner sexuellen Orientierung
könnte es hilfreich sein, einen Blick auf meine frühen Jugendjahre zu werfen. Als
ich drei Jahre alt war, veränderte sich das Verhältnis meiner Mutter zu meinem Unterleib.
Sie kam nun immer öfter mit allen Anzeichen echter oder gespielter Neugier an mein
Kinderbett, schlug das Laken zurück und rief mit wohlgefälligem Blick auf meine
Männlichkeit:
»Wo ist
denn mein kleiner Schniedelwutz? Lieber Himmel, er ist ja schon wieder gewachsen.
Gütiger Gott, was für ein Riesending …«
Ihre Bewunderung
grub sich tief in mein kindliches Gehirn ein. Ich begann, mir jeden tatsächlichen
oder vermeintlichen Millimeter, den besagter Körperteil wuchs, als persönliches
Verdienst anzurechnen.
Hand legte
sie nie an, pinkeln musste ich selbst. Die wunderbare Lenkung des Strahls durch
jenen zarten Griff, mit dem andere Mütter ihre Kinder bezauberten, blieb mir immer
versagt. Sie trug unter ihrem fulminanten Pelzmantel nichts als ihren festen, braun
gebrannten Körper. Und manchmal, wenn sie sich über mich beugte, um das Wachstum
meines Schniedelwutzes zu begutachten, klappte er schon einmal auf und gab den Blick
auf ihre atemberaubenden Formen frei. Ihre Haut war glatt und makellos und schimmerte
in schwülfeuchtem Seidenglanz.
Ich erinnere
mich noch gut an den Tag – es war kurz nach meinem vierten Geburtstag –, als besagter
Körperteil dabei deutlich an Fülle zunahm. Ich lächelte selig und strampelte wie
das Christuskind in der Krippe. Falls dieser blasphemische Vergleich für den Augenblick
erlaubt ist? Beim Anblick meiner frühreifen Männlichkeit erstarrte meine Mutter
– dann verbarg sie eilig ihren nackten Körper unter dem Pelzmantel und verließ fluchtartig
das Zimmer. Seitdem drohte sie mir manchmal scherzend mit dem Zeigefinger.
Wir haben
beide niemals ein Wort darüber verloren, dass ich schon in diesem unschuldigen Alter
bei ihrem Anblick einen Ständer bekam.
Pottkämper
senior achtete streng darauf, dass nichts über unseren Lebenswandel nach außen drang.
Während dieser Zeit arbeitete er jedenfalls nicht für »AÄG«, sondern ging irgendwelchen
anderen obskuren Geschäften nach.
Offenbar
ließen ihm seine Unternehmungen noch genügend Zeit für Hobbys. Damals war ihm auf
mysteriöse Weise ein Ohr abhanden gekommen. Aber wohl nicht, weil er es sich abgeschnitten
hätte wie der Maler Vincent Van Gogh – dazu wäre er wohl doch zu feige und schmerzempfindlich
gewesen. Angeblich war es nur ein Unfall, als er sich beim Zuschneiden von Bilderrahmen
über seine Kreissäge beugte. Allerdings war er seitdem verdächtig auf Van Gogh fixiert
und malte auch in seinem Stil …
Seine Schöpfungen
waren kongenial, in leuchtenden, pastos aufgetragenen Farben und den Motiven alter
Fotografien und Kupferstiche entliehen. Eines seiner Gemälde erinnerte an Van Goghs
berühmte »Caféterrasse am Abend« in Arles, zeigte aber stattdessen die Markthalle
in Auvers-sur-Oise nördlich von Paris. Während dieser Zeit hatte er starke
Schmerzen. Die Wunde am Kopf wollte nicht heilen und musste mit Antibiotika behandelt
werden.
Danach war
Kandinsky an der Reihe. In dessen Biografie gab es nichts zu schnippeln und so überstand
mein Vater diese Periode körperlich unbeschadet, sieht man einmal davon ab, dass
er Nacht für Nacht bis zur Erschöpfung arbeitete. Erst viel später entdeckte ich,
dass Experten seine Bilder für unbekannte Werke Van Goghs und Kandinskys hielten.
Bei alledem
schien er völlig klar im Kopf zu sein. Einmal davon abgesehen, dass Ohren für den
Sitz von Mützen doch recht hilfreich sind.
Mit fünf
Jahren begriff ich, dass große Geschlechtsteile einen Mann genauso adeln wie Ruhm,
Macht und Geld. Das Interesse der Gesellschaft scheint auf diese Brennpunkte fokussiert
zu sein. Dabei symbolisiert das männliche Glied eine Tätigkeit, die oft auch nicht
annähernd den Gefühlswert abwirft, den sie zu versprechen scheint. Unmittelbar drauf
folgen Haarfülle und gute Geschäfte.
Ich stand
vor dem Spiegel, betrachtete mein adeliges Organ aus allen Perspektiven – und kam
zu dem Schluss, dass es außergewöhnlich sein musste. Offenbar gehörte ich zu jenen
Glücklichen, denen ihre
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