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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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nicht, was die beiden anstellten, um auf Touren
zu kommen. Es musste irgendeinen erotischen Kunstgriff geben, der Oma Pottkämper
dazu brachte, mitten in der Nacht Strangers in the Night zu singen.
    Wenn man
sie darauf ansprach, sagte sie nur: »Das bleibt das Geheimnis der Engel.«
    Großmutter
hatte ihre ganz eigene Vorstellung vom Himmel und von den Engeln. Ihrer Meinung
nach verharrten unsere unsterblichen Seelen dort oben im geistigen Raum zwar in
ewiger Glückseligkeit, aber von Zeit zu Zeit verlangte es sie doch danach, sich
in das Getümmel auf der Erde zu stürzen, um das Dasein in seiner ganzen beängstigenden
Widersprüchlichkeit und Schmerzhaftigkeit zu erleben.
    Sobald die
Seele den Körper betritt, beginnen bekanntlich die Schmerzen. Unsterbliche Seelen
haben weder Hexenschuss noch Sodbrennen. Und wenn sie eine Zeit lang die Schrecken
der Realität gekostet hatten, dann kehrten sie erleichtert wieder in die Gemeinschaft
all jener friedlichen Seelen zurück, die des Halleluja-Singens und Harfezupfens
auch irgendwann überdrüssig werden würden.
    Ohne Anton
hockte Großmutter still in ihrer Dachkammer. Oft starrte sie dabei die Wandschrägen
an, als wenn von oben Signale oder Hinweise kämen, was zu tun sei. Dann, ganz plötzlich,
wie aus dem Nichts, setzte hektische Betriebsamkeit ein – wohl aufgrund neuer Einflüsterungen
aus dem Himmel –, und sie begann so unermüdlich zu nähen, als drohe unserer Familie
morgen das finanzielle Aus. An ihrem Bett stand ein Kleiderständer, der unter der
Last der Röcke und Hemden fast zusammenbrach. Mit den Einnahmen stockte sie manchmal
mein Taschengeld auf. Es wäre ihr aber nie in den Sinn gekommen, mich deswegen zu
bevormunden. Manchmal dachte ich, falls ich meine Familie mit Plasmodium falciparum vergiftete, dann sollte ich sie vielleicht verschonen?
    Die Behauptung,
Sklaverei und Leibeigenschaft seien längst abgeschafft, hat für einen 14-Jährigen
keine Gültigkeit. Man muss um soundsoviel Uhr zu Hause zu sein, man hat zu essen,
was auf den Tisch kommt. Und bei jeder Gelegenheit ermahnt einen einer, sich nach
irgendwelchen Regeln zu richten: nicht in der Nase popeln! – keine Käfer tottreten!
– keinen Ständer kriegen, wenn die Postbotin klingelt …
    Da mein
Alter das Haus mit seiner Kunstsammlung besetzt hielt, hatte er meine Bibliothek
in den Keller ausgelagert, neben seinen Verschlag mit der mysteriösen Stickstoffflasche.
Mein Buchbestand war die Hinterlassenschaft des verstorbenen Vorbesitzers der Villa,
eines Universitätsprofessors, der – obwohl bloß ein harmloser Altphilologe – alles
gesammelt hatte, was auch nur von weitem nach Geist und Tiefsinn aussah. Seitdem
war ich stolzer Besitzer von dreieinhalbtausend Büchern in 98 Umzugskartons, deren
größerer Teil immer noch darauf wartete eingeräumt zu werden.
    P. senior
hatte mich damit an den tiefsten Punkt des Hauses verbannt, nahe am Grundwasserspiegel,
weil er behauptete, das Zeug sei halb verfault und von Holzwürmern befallen und
stinke schlimmer als die Schriftrollen aus Qumran am Toten Meer. Das war wieder
mal eine seiner üblichen hirnrissigen Ausreden, da Holzwürmer gar kein Papier fressen.
    Er wollte
mich einfach daran hindern, mich weiterzubilden; ganz im Sinne unseres letzten deutschen
Imperators – Kaiser Wilhelm –, dass Wissen den Menschen zur Revolte animiert und
ihn überhaupt erst kapieren lässt, was um ihn herum vorgeht.
    Und weil
es ein willkommenes Mittel war, um Druck auf mich auszuüben, rückte er den Kellerschlüssel
neuerdings nur noch nach der Devise heraus:
    Die kriegst
den Kellerschlüssel erst, wenn du brav deinen Haferbrei gegessen hast …
    Ich fand,
das alles konnte nur das typische Erziehungsverhalten eines Mannes sein, der gar
nicht mein leiblicher Vater war. Weil er bei solchen Anlässen auch noch gern meinen
WLAN-Anschluss kassierte, war ich schon zweimal durch das Kellerfenster in meine
eigene Bibliothek eingebrochen. Manchmal hockte ich dort unten mit angezogenen Knien,
falls noch genügend Tageslicht durch den Kellerrost fiel, und las, bis die Dunkelheit
hereinbrach.
    Lediglich
das Summen der Kühlung der Stickstoffflasche nebenan störte mich etwas …
    Aber manchmal
schloss ich auch einfach nur die Augen, verzichtete auf jede weitere Fütterung meines
unersättlichen Gehirns und meine Fingerspitzen fuhren in der beruhigenden Gewissheit
über das Papier, dass unter meinen Händen das ganze Wissen der Welt auf seinen neugierigen
Leser wartete

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