Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Schreibtisch, dessen Design so schlicht ist wie die Dinge darauf. Ein Mac flackert vor sich hin, daneben liegt ein Notizblock, waagerecht zur Tischkante ausgerichtet, mit einem Stift. Sonst befindet sich nichts auf Herrn Benders Schreibtisch. Die Schubladen darunter müssen voll sein mit Zetteln und Büroklammern und Papier und allem anderen Kram, der für gewöhnlich bei mir herumliegt, mutmaße ich, während Herr Bender darauf wartet, dass ich mich auf den freien Stuhl vor dem Tisch setze, um selbst Platz nehmen zu können.
»Also, Frau Lenartz. Ich … wir beim MeMa freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserem Magazin.«
»Danke.«
»Vor allem, weil Sie ja aktuell bei einer namhaften Werbeagentur arbeiten.«
»Danke«, antworte ich erneut, obwohl ich weiß, dass dies nicht wirklich das war, was Herr Bender hören wollte. Ich rücke mich auf dem Stuhl zurecht und sehe den Chefredakteur an, als wäre es an ihm, die Pause in unserer Konversation zu unterbrechen.
»Frau Lenartz, warum möchten Sie das aktuelle Geschäftsverhältnis zu Ihrem jetzigen Arbeitgeber beenden?«
Hm.
Weil mein jetziger Arbeitgeber ein Verhältnis mit mir anfangen möchte.
Weil ich ihn habe abblitzen lassen.
Weil er ein Narzisst ist.
Weil ich nächste Woche zu einem Einzelgespräch in sein Büro muss.
Weil Einzelgespräch Kündigung bedeutet.
Mal sehen. Welche der Antworten soll ich Herrn Bender am besten geben?
Und warum war dieser Moritz Winsberg derart schroff?
Lag es an meinem Pony?
Oder den Schuhen?
Ehrlich gesagt, die Schuhe mag ich auch nicht.
»Herr Bender, um Ihre Frage zu beantworten, ich möchte das aktuelle Geschäftsverhältnis beenden, weil ich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung bin.«
»Bei einem Männermagazin als mittdreißiger Singlefrau?«
»Woher wissen Sie, dass ich Single bin?«
»Bis gerade gar nicht.«
Herr Bender lächelt zufrieden und steckt mich damit an.
»Ich sagte ja, ich suche eine Herausforderung.«
Der Chefredakteur stockt kurz und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Während er den Stift in seinen Fingern in einer präzisen Bewegung hin und her dreht, wandern seine Augen an mir herab.
»Frau Lenartz, wie würden Sie sich beschreiben?«
Tja.
Ich bin körperlich betrachtet zu klein für den Durchschnitt, liebe leider trotzdem flache Schuhe und denke, dass das Leben zehn Zentimeter größer ein Traum sein muss. Ich habe keinen Kontakt zu meiner Mutter, seit sie uns verlassen hat, und verkrieche mich in das Taxi meines Vaters, wenn ich mich einsam fühle. Ich koche, obwohl ich es nicht kann; ich bin schrecklich unordentlich, obwohl ich es nicht will, und ich lasse meine schlechte Laune an Frau Sondtheim aus, obwohl sie es nicht wirklich verdient hat. Ich habe einen Pony, der nie sitzt; ich habe an der Hüfte zwei Kilo zu viel, die dafür richtig fest sitzen; ich schreibe Kindergeschichten über fliegende Schweinchen und laufende Schmetterlinge und belehre die sechsjährige Tochter meiner besten Freundin, dass es Romantik, Treue und ewiges Glück nicht gibt und die Happy Ends in ihren Märchenbüchern das größte Märchen sind. Die Vorenthaltung der nächsten hundert Seiten, in denen sich Prinz und Prinzessin zu Tode langweilen, bis sie mit dem Hofnarr fremdgeht, während der Prinz auf einer Waldlichtung Rapunzel kennen lernt, bereitet wirklich niemanden ausreichend auf die Realität vor.
Ich arbeite gern, vor allem, weil ich es nicht muss, und werde irgendwann all mein Geld nehmen und endlich ins Hochland von Tibet reisen, um eine Buddhastatue dabei zu beobachten, wie ihr die Sonne auf den dicken Bauch scheint.
Vielleicht war genau jetzt der Zeitpunkt fürs Kofferpacken gekommen?
»Frau Lenartz? Ist alles in Ordnung? Ich fragte Sie gerade, wie Sie sich beschreiben würden.«
Meine Gedanken wandern vom Hochland Tibets zurück auf Herrn Benders Schreibtisch.
»Wie ich mich beschreiben würde? Also … als weitestgehend normal?«
»Normal also. Und was ist mit ihrer Kündigungsfrist?«
»Ich bin freie Mitarbeiterin.«
»Was halten Sie von einem Probetag? Am Samstag finden ein Shooting und Interview mit einem regionalen Promi statt. Als neue Rubrik im MeMa stelle ich mir die Seite Frauen, die wir Männer wollen vor. Sie wären vielleicht geeignet. Ich meine, Sie haben in Ihrer Bewerbung angegeben, dass Sie die Werbekampagne mit der singenden Ketchupflasche konzipiert haben. Und das mit den T-Bone-Steaks, die aus Pflanzenkübeln wachsen, das war auch von Ihnen?«
Ich
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