Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Handrücken, als wolle sie ihn von Staub befreien. Dann richtet sie ihren ohnehin schon geraden Rücken noch ein Stückchen weiter auf und den Blick gen Fenster.
»Gut. Es ist passiert. Ich muss mich sammeln. Es tut mir leid, ich wollte das nicht; ich bin ein schlechter Mensch. Und das, während Thomas das Haus meiner verstorbenen Mutter für mich verkauft. Das ist unverzeihlich, ich muss es ihm sagen.«
Lena schießen Tränen in die Augen, und sie senkt den Blick. »Hey, Süße«, sage ich und blicke in ihre glänzenden Augen. »Wirst du diesen anderen Typen wiedersehen?«
»Niemals.«
»Dann solltest du es Thomas auch nicht sagen.«
»Aber ich habe ihn betrogen, das ist doch irgendwie nicht fair.«
»Es ist irgendwie nicht fair, wenn du es ihm sagst.«
Lena zwinkert die Tränen fort und neigt interessiert ihren Kopf,als würde ich ihr gleich einen Vortrag über die Zusammenhänge von Hybridtechnologie und dem Sexualverhalten von Einzellern referieren.
»Du hast etwas Dummes gemacht, und wenn du es Thomas sagst, dann lädst du es bei ihm ab. Dir wird es besser gehen und ihm schlechter. Verstehst du? Du bist es los, weil das Problem jetzt bei ihm liegt. Wenn du es Thomas aber nicht sagst, dann bleibt das Problem bei dir. Dann musst du damit klarkommen.«
Meine Freundin nickt verstehend und greift nach ihrem Weinglas, um meine Worte hinunterzuspülen.
»So löst du Probleme! Tja. Aber vielleicht hast du recht.« Sie unterbricht sich mit einem weiteren Schluck. »Könntest du vielleicht noch widersprechen in Bezug auf meine Aussage, dass ich ein schlechter Mensch bin?«
»Ach Lena …« Fast muss ich lächeln. »Du bist erst ein schlechter Mensch, wenn du Thomas betrügst und danach nicht mehr händeringend nach Kontrolle suchst und Weißwein in dich reinkippst und glaubst, dass du ein schlechter Mensch bist.«
Lena erhebt sich aus meinen Armen und das Weinglas in die Luft.
»Thomas wird es nie erfahren!«
»Okay«, stimme ich feierlich mit ein.
»Außerdem haben wir aktuell schon genug Probleme. Jetzt, wo der Delikatessenladen endlich anläuft, was vor allem auf die Tartes und Suppen zurückzuführen ist, die ich anbiete, macht direkt auf der anderen Straßenseite eine Suppenküche auf. Und weißt du, wie sie heißt? Die SUPPENKÜCHE! Was für ein bescheuerter Name.«
»Aber Konkurrenz belebt doch das Geschäft. Und letztendlich setzt sich das bessere Essen durch.« Und der bessere Mann, verkneife ich mir zu sagen.
»Anna. Diese Frau bietet die Kirschtomatensuppe für zwei Euro neunundneunzig an! Da kann ich nicht mithalten.« Lena hämmert wütend ihre geballte Faust auf den Tisch. »Ich hatte es gerade an die Tagestafel geschrieben, ›Kirschtomatensuppe‹, und kaum drei Stunden später bietet diese Küchensuppentante das gleiche Gericht für die Hälfte an! Mache ich Möhrensuppe, gibt es bei ihr Möhrensuppe, biete ich Rinderkraftbrühe mit Farfalle an, macht sie Rinderkraftbrühe mit Buchstabennudeln. Aber nicht mit mir! Beim ersten Frost werde ich ihr literweise kaltes Wasser vor die Tür kippen. Und ich schiebe immer die Mülleimer der Nachbarn vor ihren Eingang, wenn sie nicht hinsieht. Außerdem wollte ich den Margeriten auf ihrer Fensterbank die Köpfe abschneiden, aber das hat Thomas mir verboten. Er will das lieber zwischenmenschlich regeln. Mit reden! Aber weißt du, bei manchen Dingen muss man handeln und nicht reden. Deswegen ist Thomas auch so eine Versagensgarantie im …«
Lena stockt. Trinkt. Und schiebt sich die rotgoldenen Haare aus dem Gesicht, während ich mich des logischsten Grunds entsinne, warum Menschen Affären und Seitensprüngen nachgehen. Wir suchen immerzu das in fremden Betten, was wir in vertrauten nicht finden.
Lena scheint meine Gedanken zu erraten und schiebt ihre Haare zurück ins errötete Gesicht. »So. Jetzt haben wir genug von mir geredet. Wie lief es denn bei deinem Vorstellungsgespräch?«
»Gut. Danke. Ganz gut. Ich habe morgen ein Probeinterview.«
»Das hört sich doch super an.«
»Ja, ja. Sag mal, was hältst du eigentlich von Menschen, die Konventionen, die lediglich der Höflichkeit dienen, ablehnen?«
»Denkst du an jemand bestimmten?«
»Nein.«
»Eine rein philosophische Frage? Hm. Anna, du trinkst zu vielWein«, erklärt Lena, während sie mir das Glas wieder auffüllt. »Und um deine Frage zu beantworten: Ich lehne jene Menschen ab. Das gebietet mir die Höflichkeit.«
*
Nachdem ich Lena die zweite Flasche Weißwein verboten und sie
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