Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
diesem Aufzug weggehen?«
»Wohin gehe ich denn?«
»Ach, zum Vorstellungsgespräch bei MeMa . Was das nun auch wieder ist. Aber da der Rest Ihrer Post ja durchaus deprimierend ist, wie im Übrigen auch Ihre Frisur, wünsche ich Ihnen, dass ein neuer Job für Sie auch die Chance zur weiteren Entwicklung mit sich bringt.«
Ich stocke kurz, fahre mir erneut durch den dämlichen Pony, stelle selbiges jedoch sofort wieder ein, da ich ahne, dass FrauSondtheim dies als Übersprungshandlung enttarnen würde, und lehne mich in den Türrahmen.
»Natürlich gehe ich so NICHT zum Vorstellungsgespräch beim Magazin The Men of Modern Art . So. Und nun guten Tag!«
In Alternativlosigkeit schlage ich die Tür zu. Ein Vorstellungsgespräch? Beim MeMa ? Heute? Mit nervösen Fingerspitzen breite ich die Schnipsel auf dem Küchentisch aus. Und tatsächlich. Da steht es, zwischen »dein Frederik« und »bedanken uns für Ihre Bewerbung«. Das MeMa lädt mich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Es stand in dem zweiten der kleineren Briefe. Der Termin ist heute Nachmittag. In einer knappen Stunde.
5.
Bewerbungsschluss
M eMa ? Was soll das denn sein?«, schreit Lena am anderen Ende der Leitung ins Telefon. Unter ihre eigenartig hysterische Stimme mischen sich das Quietschen von Wagenreifen, das Brummen von Motoren und ein Sammelsurium an Großstadtgesprächen.
»Lena. Ich bin gerade im Auto auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch. Außerdem verstehe ich dich ganz schlecht. Ist etwas mit Zora?«
»Zzzz … nein … zzzz.«
»Wie bitte? Einer von uns befindet sich in einem Funkloch.«
»Ich habe Thomas’ … zzzz … Hoden.«
»Was?«
Der alte Benz unter meinem Hintern schiebt sich schwermütig durch die Südstadt vorbei an Altbaufronten, die sich dicht an dicht am Straßenrand drängen. In ihren Fenstern spiegelt sich die Abendsonne und lässt die Blumen in den Kästen davor aufleuchten. Je näher mein Wagen über Kopfsteinpflaster der Innenstadt entgegenwackelt, desto mehr strecken sich die Schatten der Domspitzen über Köln aus. Statt dem glitzernden Rhein meine Aufmerksamkeit zu schenken, wie er die Fähren und Frachter gen Norden spült, blicke ich auf die Freisprechanlage.
»Ich verstehe dich überhaupt nicht.«
»Du musst sofort herkommen.«
Hm.
Allem Anschein nach hat sie mich ebenso wenig verstanden!
»Ich bin gerade auf dem Weg zum …«
» MeMa . Ich weiß. Nie gehört. Liegt das Hyatt auf deiner Strecke?«
»Das Hyatt? Was machst du denn im Hyatt?«
»Ja oder nein?«
»Ja. Es liegt auf meiner Strecke. Ich muss auf die andere Rheinseite, nach Mülheim.«
»Gut. Ich warte vorm Eingang.«
»Das schaffe ich niem…«, versuche ich noch zu intervenieren, während das Bild von Lena bereits auf dem Handydisplay verschwindet. Also bitte, fahre ich halt noch schnell beim Hyatt vorbei. Ich habe ja nichts Wichtiges vor. Ich bin lediglich auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch, Beginn in fünfzehn Minuten auf der anderen Rheinseite, die ich laut Navigationssystem in einundzwanzig Minuten erreicht haben werde. Das sind die Momente, in denen ich mir wünsche, in einem der südlichen Länder zu wohnen, wo das Wort »Pünktlichkeit« nicht im Wörterbuch steht. Ich versuche, tief durchzuatmen und mich auf die positiven Aspekte in dieser Sache zu konzentrieren: So habe ich direkt eine Schwäche, von der ich berichten kann, wenn mich beim Vorstellungsgespräch jemand danach fragt. »Und kleine Schwächen machen Menschen ja irgendwie auch sympathisch und, wie soll ich sagen, menschlich«, übe ich schon mal meinen Text ein. Das machen sie doch hoffentlich! Mir schwirrt der Kopf.
Als ich die Deutzer Brücke verlasse, der rechten Rheinseite entgegen, und der Dom im Rückspiegel immer kleiner wird, versuche ich mir vorzustellen, in welchem Zustand sich Lena vor dem Hotel gerade befindet. Ein Gefühl von Sorge breitet sich in meinem Bauch aus. Im Grunde ist meine Freundin eher wohlsortiert, kontrolliert und konservativ. Das ist ihr Vater des Erfolgs. Sie arbeitet Tag und Nacht in ihrem Delikatessenladen, sucht neueLebensmittelschätze auf der ganzen Welt, kreiert, kocht, bedient die Theke und die vier kleinen runden Tische vor den bodentiefen Fenstern der PETIT CUISINE, auf denen jeden Abend Kerzen flackern und so den Bürgersteig einer kleinen Seitenstraße im Belgischen Viertel wärmer erscheinen lassen. Ihr Mann Thomas macht die Buchhaltung, ihre Tochter Zora Unordnung hinter der Theke. Ich glaube, sie ist das
Weitere Kostenlose Bücher