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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Tatsächlich, er sah verfroren aus, blau angelaufen, unrasiert, die Haut rissig, wie ein Mensch ohne Bedeutung, ohne Stand und Ressort. Irgendwie überflüssig hier in dieser Gesellschaft, ja sogar in dem Fauteuil, das er sich angeeignet hatte. Sie stand ganz einfach auf, ging wortlos zu dem Sofa hinüber, und mit einem einschmeichelnden „Erlauben Sie, ich werde hier …“ setzte sie sich dem Direktor der staatlichen Reserven fast in den Schoß’.
    „Wie fühlen Sie sich, Genosse Generaldirektor?“ frag te sie. „So zum erstenmal in unserer Gesellschaft …“
    Mit ihm ging es schwerer. Es war nicht klar, wie man ihm beikommen, von welcher Seite man ihn packen konnte. Für Kunstgespräche zeigte er kein Interesse, höchstens ein wenig für Bilder, aber da hauptsächlich für die Rahmen. Erst als ihm eine alte Ikone gezeigt wurde, erhob er sich von seinem Platz, tastete sie ab, als prüfe er ihr Gewicht und ihre Stärke, sah sie sich mehr von hinten als von vorne an, klopfte zweimal mit dem Finger darauf und nickte. „Sehr gut, ausgezeichnet!“ beurteilte er. „Trockenes Nußholz und nicht ein bißchen wurmstichig. Hüten Sie sie gut – ihr Preis wird bald steigen.“ Danach schritt er, wie bei einer Truppenparade, das ganze Zimmer ab, musterte die Möbel, tastete und klopfte sie ab wie ein Viehhändler Pferde und Rinder. Mit der Schuhspitze schob er ein Stückchen Teppich beiseite und bückte sich, um das Parkett zu begutachten – als war er ein Makler, der gekommen ist, um diese Möbel und dieses fremde Haus über die Köpfe der darin Lebenden hinweg zu verkaufen.
    „Sie waren vielleicht Tischler oder Fußbodenleger?“ erzürnte sich die Hausfrau, bekam aber Angst, sie könnte zu weit gegangen sein, und verbesserte sich: „Entschuldigen Sie, ich meinte: früher, in der alten Zeit.“
    Er aber ließ sich nicht verwirren. „Ja“, sagte er nebenbei, „so was Ähnliches.“ Und fuhr fort, die Möbel abzuschreiten und abzutasten. „Ein schönes Stück, Biedermeier“, sagte die Hausfrau, die ihn begleitete. „Dieses Fauteuil ist leider nicht stilecht – allzu wuchtig und schwer. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es umzutauschen.“
    „Besser so. Besser, daß Sie’s nicht umgetauscht haben“, bemerkte er, fingerte das Fauteuil ab und entdeckte dann beim Ofen eine gewöhnliche Kiste aus Tannenholz. Die Hausfrau errötete: „Nicht hinschaun, um Himmels willen! Sie ist überhaupt nicht dekorativ. Wir haben sie nur vorübergehend hereingestellt, für Kohle und Holz, bis es ein wenig wärmer wird und der Winter vorbei ist.“
    „Der Winter vorbei ist?“ Er sah sie an. Er bückte sich tief, um die Kiste zu untersuchen, als verneige er sich vor ihr mit Hochachtung. „Trotzdem, lassen Sie mich“, bat er. „Mir gefällt das. Es gefällt mir außerordentlich. Ich wollt, ich hätt ein paar Stück davon. Ich ziehe dem Dekorativen das Stabile und Solide vor. Am Ende erweist sich für gewöhnlich, daß das besser und wertvoller ist.“
    Und steif kehrte er auf seinen Platz zurück.
    Am anderen Ende, dem Bücherbord gegenüber, saß der dürre, zornige und boshafte Babic und betrachtete hartnäckig die kleine Figur der weißen Eskimofrau.
    „Da!“ rief er und zeigte mit dem Finger darauf. „Seht ihr, wie weit es mit uns gekommen ist? Noch ein bißchen, und wir werden aussehen wie diese Wilden. Und ständig wird irgendwie ,der Mensch’ erwähnt … Der Mensch? Was ist das, der Mensch? Sagt mir, ich bitt euch, was ist das, der Mensch? Ist das jenes Biologische in uns? Ist es das, was uns macht – oder was wir machen? Und wie kann eine Gesellschaft, die von sich behauptet, sie kümmere sich um soziale Gerechtigkeit, zulassen, daß die Güter, die die einen geschaffen haben, an die anderen verschleudert werden. Schon seit langem ist es sinnlos, von den Arbeitern als von den Erschaffern unserer Zivilisationsgüter zu sprechen. Im Zeitalter der Computer, der Automaten, Roboter und der vollständigen Mechanisierung ist die Rolle der physischen Arbeit auf das kleinste Maß reduziert – auf fast nichts. Wir können heute ohne weiteres behaupten, daß die unkultivierte, zurückgebliebene Menge auf Kosten der Fähigkeiten, Anstrengungen und Arbeit der geistigen Elite lebt; daß die Mehrheit die Minderheit ausnutzt – was viel schlimmer und schwerwiegender ist, als wenn eine Minderheit die Mehrheit ausnutzt, wie das früher der Fall war. Leider, wie die Dinge fürs erste liegen, sind ausgerechnet wir diejenigen,

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