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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Vorfrühling. Auch im kalten Island gedeihen Trauben und Tomaten in Glashäusern. Warum also sollten wir uns nicht alle unter einer gewaltigen Glasglocke wärmen, die sich über die ganze Erde erstrecken würde?“ Tatsächlich sah es so aus, als sollte beim gegenwärtigen hohen Entwicklungsgrad der Technik auch das möglich sein, aber noch vor Beginn der Arbeiten machten sich Schwierigkeiten im Zusammenhang mit menschlicher Zwietracht und Selbstsucht breit. Wie die Reisenden in unseren Zügen sich niemals darüber verständigen können, wann man das Fenster auf- oder zumachen oder die Heizung ein- oder ausschalten soll, so meldeten sich auch jetzt einige Staaten, solche um den Äquator in erster Reihe, und erinnerten daran, sie hätten jahrhundertelang unter tropischer Hitze geschmachtet, und damals sei es niemandem in den Sinn gekommen, das Fenster zu öffnen und ihnen ein bißchen frischere europäische Luft zu schicken. Darum würden sie jetzt, da sie zum erstenmal aufatmeten und sich wohl fühlten, niemandem gestatten, gläserne Vorhänge über ihren Kopf zu ziehen, und sollte das doch jemand versuchen, würden sie alles mit Steinen kaputtschmeißen.
    Während darüber auf verschiedenen internationalen Tagungen des langen und des breiten verhandelt wurde, versuchten ein paar realer denkende Leute, auch die neuesten Errungenschaften der modernen Wissenschaft ins Spiel zu bringen. Auf allen höher gelegenen Punkten, den Grenzen entlang und im Landesinnern, wurden große Heizkörper aufgestellt, die mit ihrer Strahlung die Schnee-, Eis- und Hagelwolken vertreiben sollten, und zum gleichen Zweck wurden immer häufiger Atom- und Wasserstoffbombenexplosionen veranstaltet. In Wirklichkeit jagte man Schnee und Kälte aus einem Land ins andere, die Luft wurde durcheinandergewirbelt und die Luftströmungen nur verstärkt, und die Bombenexplosionen hatten zur Folge, daß an Orten mit niedrigem Luftdruck künstliches Eis auftrat. So richteten diese technischen Maßnahmen mehr Schaden als Nutzen an.
    Auf der internationalen politischen Bühne war die Lage nicht besser. Infolge der Verkehrsschwierigkeiten gingen der zwischenstaatliche Handel, der Tourismus und der sogenannte Kulturaustausch jäh zurück. Drahtverhaue, Wolfsgruben, Gräben und hohe Mauern an den Grenzen vereitelten jede gegenseitige Verbindung. Indessen, was die Beziehungen besonders erschwerte und den kalten Krieg verstärkte, war das angestiegene Interesse für Kolonien – die nicht länger nur Lieferanten für Rohstoffe und billige Arbeitskräfte darstellten, sondern auch die Möglichkeit, Hunderttausende, ja Millionen von Menschen in ihnen anzusiedeln, die bereit und willens waren, vor dem Angriff von Schnee und Eis davonzulaufen. In politischer Terminologie würde man sagen: Es regte sich die Tendenz nach Neuverteilung der Kolonien, und auch alle bisher wirklich oder scheinbar freien Länder in den wärmeren Breiten gerieten in Gefahr.
    Unter dem reaktionären und egoistischen Teil des Volkes konnte man damit im Zusammenhang auch scharfe Kritik an unserer Außenpolitik hören. „Da haben sie nun ihre Grundsätzlichkeit!“ wurde gesagt. „Geschieht ihnen recht! Dauernd müssen wir irgendeine Gerechtigkeit trätieren. In einem fort haben wir gegen Imperialismus und Kolonialismus gewettert, während andere Staaten es sich einzurichten wußten, wie sie mochten und konnten. Was, zum Beispiel, fehlt den Belgiern, wenn sie einen derartigen Kongo haben, in Afrika, dazu auch noch am Äquator? Der ist so groß, daß darin ganz Belgien fünfzigmal Platz hat. Solange es den Belgiern in ihrem Brüssel angenehm und warm war, vergnügten sie sich dort, machten Ausstellungen und dachten gar nicht daran, in den Urwald auszuwandern. Sie ließen die Wilden leben, wie die’s gewohnt waren, ihre Tänze tanzen und einer den andern auf dem Rost braten – aber jetzt war’s ein Irrsinn, von ihnen zu verlangen, sie sollen in ihren Häusern bleiben und sich vom Eis lebendig begraben lassen. Sie werden schön alle in den Kongo umziehn, wohl ihnen. Und auch den Schwarzen wird’s nicht schlecht gehn; auch für sie wird’s mehr Arbeit geben. Wieviel Ammen, Nursen, Dienstmädchen, Diener, Schuhputzer, Liftboys, Jazzmusikanten, Boxer und ähnliche Spezialisten werden die reichen Belgier allein schon brauchen, wenn sie dorthin auswandern. Und wir – nichts! Obgleich unsere Dalmatiner berühmte Seefahrer sind, war nicht einer von ihnen imstande, für uns irgendeine Kolonie zu

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