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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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werden in kürzester Zeit ausgerottet sein. Es ist bekannt, daß sie in den heißen Gegenden florieren, während sie in den arktischen Gebieten immer selten waren, da niedrige Temperaturen auf Entwicklung und Verbreitung verschiedener Krankheitskeime offenbar einen ungünstigen Einfluß haben. In einem der Gesundheitsbulletins für den Monat Juni wurde ein statistischer Überblick über die Krankheits-– und Todesfälle in der Stadt veröffentlicht. Man sah, daß ansteckende Krankheiten um zwei Drittel zurückgegangen und die früher so häufigen Fälle von Wirbelsäulenverkrümmung bedeutend seltener geworden waren. Und tatsächlich, seit einiger Zeit hielten die Menschen auf der Straße sich aufrechter – und die Angestellten in den Büros natürlicher, weicher und elastischer. Einen Monat darauf war das Bild noch günstiger – außer in der Rubrik „Verschiedenes“ die ein wenig angewachsen war. Drei oder vier Monate nachdem es zu schneien begonnen hatte, hatte sie bereits den gleichen Umfang wie alle anderen zusammen; und noch mehr. Zu Ende des kalendermäßigen Sommers – als der Beginn der Eiszeit bekanntgegeben wurde – betrug sie doppelt soviel wie alle übrigen zusammen.
    Auto- und andere Verkehrsunfälle gab es weit weniger, und die Hundegespanne hatten einen massiven Vorzug: Sie überfuhren nur selten jemanden. In den letzten Ausgaben der Zeitungen konnte man indessen Nachrichten folgender Art lesen: „Vasilije Popadić, als Trinker und Raufbold bekannt, wohnhaft in der Nischer Straße 7, schlief gestern nacht auf dem Heimweg aus dem Wirtshaus im Schnee ein. Er wurde heute morgen erfroren aufgefunden und in die Anatomie des Hauptkrankenhauses gebracht.“ Oder: „Panta Ocokolić, Fleischergeselle, verirrte sich auf dem Heimweg spät bei Nacht in den finsteren Straßen, schlief vor Müdigkeit an einem Zaun ein und erfror.“ Oder: „Nachdem die Nachbarn bemerkt hatten, daß sich in der Wohnung der Witwe Katić schon tagelang niemand rührte, schöpften sie Verdacht, es könnte ein Verbrechen vorliegen. Lange klopften sie an die Tür, und als ihnen niemand öffnete, drangen sie mit Gewalt in das Zimmer ein und fanden die Witwe in ihrem Bett, schon kalt und tot. Der herbeigerufene Arzt konnte an ihr keinerlei Spuren von Gewaltanwendung feststellen und konstatierte bei genauerer Untersuchung als Todesursache einfaches Erfrieren. Man nimmt an, daß es der alten Frau übel geworden war, und da sie allein wohnte und niemanden hatte, der ihr den Ofen angeheizt hätte, war sie wahrscheinlich schon vor einigen Tagen erfroren.“
    Später wurde über alles das einfacher berichtet. Zuerst schlicht: Der und der, sagen wir: Mirko Mitrović, erfroren. Dann, als die Zahl der Erfrorenen immer größer und die der Zeitungsseiten immer geringer wurde, kamen die Redaktionen auf die Idee, eine eigene Rubrik „Erfroren“ einzuführen, in der nur noch, in alphabetischer Reihenfolge, die Namen aufgeführt wurden – zuerst in Borgis, dann in Petit und schließlich, um möglichst viele Namen auf dem engen Raum unterzubringen, in Nonpareille. Am ersten September wurden drei ganze Spalten veröffentlicht, an die hundert Namen in jeder.
    Die Statistiker behaupteten, daß die Gesamtzahl der Erfrorenen die Summe der Todesfälle infolge ansteckender Krankheiten, Krebs, Herzkrankheiten, Verkehrsunfälle, Altersschwäche, Selbstmord und anderer möglicher Ursachen für das Hinscheiden des Menschengeschlechts nicht überschreite. Nur die Todesarten hatten sich verschoben, wurde gesagt, nicht aber die Gesetzmäßigkeiten der Auswahl und der Ablösung; es starben vor allem Alte, Schwache und Nichtanpassungsfähige. Es wurde sogar behauptet, der Frost wirke biologisch auf den Menschen günstiger ein als andere Todesursachen. Im übrigen – der Tod ist für uns immer nebenan, nie in unserer eigenen Kammer, auch dann nicht, wenn er sich, für uns unsichtbar, schon über unser Bett gebeugt hat. Und wer erregt sich noch beim Tod fremder, uns unbekannter Menschen? Wenn es so wäre, müßten wir andauernd erschüttert sein und kämen niemals, auch nicht für einen Augenblick, zur Ruhe, denn gestorben wird ständig, und es gibt keinen Moment, in dem das nicht jemandem widerführe in der Welt, ja sogar in der eigenen Stadt. Der Tod ist menschenlos, und wir sind so weise, nicht an ihn zu denken. Es ist also egal, woran einer stirbt, ob an Krankheit oder an Frost, solang der Tod nicht an unsere eigene Tür klopft. Wir lesen oder hören,

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