Eis
während der Eiszeit gelebt? Was meinen Sie? Können Sie uns das sagen?“ fragte der Genosse Babic eines Nachmittags, als er zum letztenmal bei Krekićs zu Besuch weilte. „Höchstens einige Hundert. Verstehen Sie, was das bedeutet? Insgesamt ein paar Hundert auf einem Territorium, auf dem bis vor kurzem fast zwanzig Millionen Menschen gelebt haben!“
„Ja – wenn die Statistiken und Volkszählungen in jener Zeit genau und gewissenhaft geführt wurden. Aber was bedeutet das? Und was hat das jetzt mit uns zu tun?“
„Was das bedeutet? Das bedeutet, daß auch von uns bald nur soviel übrigbleiben wird. Noch weniger. Damals gab’s wenigstens im Oberfluß Elche, Wisente, Mammute und anderes Wild, von dem die Menschen sich ernähren konnten.“
„Wozu auch sollen wir so viele sein?“ fragte Krekić. „Was sollen jetzt so viel Leute? Wir brauchen sie nicht. Früher, in der warmen Zeit, da war es was anderes. Damals haben allein wir hier in unserem Haus mindestens drei Menschen beschäftigt: zwei Mädchen, eine Köchin und ein Zimmermädchen, und immer noch irgendeinen Handwerker dazu, einen Heizer, Gärtner und Elektriker. Und jetzt haben wir niemanden. Und wir brauchen auch niemanden. Wozu dann also so viel Leute? Sie sind völlig überflüssig. Sie essen nur, nehmen Platz weg und arbeiten nichts.“
„So ist es! Sie haben recht! Die Industrie steht still. Auch die Bergwerke arbeiten nicht mehr. Schofföre und Elektriker sind überflüssig. Sogar Friseure, da die meisten Menschen ihr Haar und ihre Barte sprießen lassen.“
„Wir brauchen die Arbeiter nicht mehr. Sie können zum Teufel gehn! Sie können jetzt ruhig aussterben! Sie haben uns lange genug mit ihrer Anwesenheit beglückt, für die wir ihnen auch noch dankbar sein mußten.“
„Ja – aber meine Angaben sprechen, leider, eine andere Sprache.“
„Angaben? Was für Angaben? Wer fragt heute noch nach Angaben? Was haben Angaben uns noch zu sagen?“
„Sie sagen, daß Sie nicht recht haben. Die anderen sterben nicht eben zahlreich.“
„Nicht sie sterben? Na schön. Wer ist es denn, der so zahlreich stirbt? Könnten Sie mir das erklären?“
Krekić verstummte, und Babic zog den Monatsbericht aus der Tasche. Es stellte sich heraus: Die Hälfte der Verstorbenen waren Angestellte, Rechtsanwälte, Ärzte, Künstler und andere sogenannte freie Berufe, zum größten Teil aus dem Zentrum der Stadt. „Wenn es in diesem Verhältnis weitergeht, werden wir in einem Jahr verschwunden sein“, schloß Babic betrübt. „Nicht wir werden ohne sie zurückbleiben, sondern sie ohne uns.“
„Um Gottes willen!“ jammerte Frau Krekić. „Daran hab ich überhaupt nicht gedacht. Das ist mir früher nicht mal in den Sinn gekommen. Und sie? Sind sie sich dessen bewußt? Ist ihnen klar, welcher Verlust auf sie wartet und was ihnen droht?“
„Sie werden verwildern“, sagte Babic. „Bis auf die Stufe des früheren Eiszeitmenschen hinab. Wir kehren in die Urgeschichte zurück. In den Primitivismus und in die Verwilderung der frühgeschichtlichen Eiszeit.“
„Schrecklich! Und sie sind noch nicht fähig, das zu begreifen. Sie können das noch nicht verstehn und sind sich der Gefahr, die ihnen droht, nicht bewußt. Man müßte ihnen helfen, die Augen zu öffnen, und schnell etwas tun, damit sie das einsehn.“
„Man muß etwas tun! Schnellstens etwas unternehmen!“ waren sich alle drei einig. „Ein Komitee für öffentliche Rettung gründen!“ schlug Babic vor. „Den Belagerungszustand einführen und Gewaltmaßnahmen ergreifen!“ sagte er und erhob sich, um nach Hause zu gehn. Es begann zu dämmern, und seit einiger Zeit war es gefährlich, sich bei Dunkelheit auf der Straße zu bewegen, selbst wenn mehrere Menschen in Gruppen zusammen gingen.
Herr und Frau Krekić blieben nachdenklich auf ihren Plätzen sitzen, während im Zimmer sich langsam Dunkelheit ausbreitete. Sie schwiegen. Sie sagten nicht ein einziges Wort. Und sahen einander gar nicht mehr, als die Tür aufging. Suse trat ein. „Ist da noch jemand Lebendiges?“ fragte sie, und als niemand antwortete, holte sie die Funzel, um das Zimmer zu erleuchten. „Ihr seid nicht einmal imstande, Licht zu machen. Ohne mich wärt ihr schon hundertmal erfroren. Los, gebt mir noch ein Buch, damit ich das Abendessen mach.“
Herr Krekić rührte sich überhaupt nicht, das Mädchen ging zum Bücherregal und griff sich den dicksten Band und legte ihn auf den Handteller, um sein Gewicht zu
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