Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
schiefgehen. Sollte dem Großherzog das Vergnügen entgehen, das Tourbillon von eigener Hand zum Leben zu erwecken, sind die Tage eines Bragot als Hofuhrmacher gezählt.“
„Natürlich, Maestro“, nickte Warner. Nie im Leben würde er auf die Idee kommen, an dem hochdiffizilen Gebilde herumzupfuschen, das sich im Inneren des Kästchens befand. Er hatte es bereits in Funktion betrachten können und war selten so beeindruckt gewesen. Es handelte sich zweifellos um die bisherige Krönung des Schaffens des Uhrmachers, das konnte selbst er mit seinen keineswegs meisterlichen uhrmacherischen Kenntnissen feststellen. Nicht zuletzt deshalb hatte es eine große Ehre für Warner bedeutet, dem Uhrwerk ad Finis noch einige Tropfen des sündhaft teuren Spezialöls aus eigener Fertigung beimengen zu dürfen. Dieses würde die Abnutzung für die nächsten Jahre auf ein Minimum reduzieren, dessen war zumindest Bragot sicher.
„Berichten Sie einem Bragot alles, Warner, merken Sie sich jedes Detail, vor allem, wie die Großherzogin reagiert“, unterbrach Bragots Stimme seine Gedanken.
„Gewiss, Maestro.“
„Dann allez, Monsieur! Der Großherzog wartet nicht gern.“
„Bei uns auf der Insel gibt es ein Sprichwort: Zu eilig und zu träge kommt man gleichermaßen zu spät! Aber keine Sorge: Es wird alles zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen“, gab Warner zurück und verließ die Uhrmacherwerkstatt. Im Vorraum kleidete er sich mit Mantel, Zylinder und Gehstock, bevor er Bragots Atelier verließ. Er wusste nicht warum, aber so etwas wie Wehmut schlich sich in seine Gedanken.
Auf der Straße wartet schon die Motorkutsche des Uhrmachers mit laufendem Aggregat . Es handelte sich dabei um eines der neuen, geschlossenen Modelle der Benz-Motorenwerke aus dem nahen Mannheim. Bislang gab es davon nur ein Dutzend Exemplare, und der Großherzog hatte seinem Hofuhrmacher eines der beeindruckenden Fahrzeuge aus Dankbarkeit für seine jahrelangen Dienste geschenkt. Sie kosteten ein Vermögen, und der moderne Verbrennungsmotor galt trotz seiner äußerst geringen Reichweite als Krone der modernen industriellen Fertigung. Dass die Benz zudem über eine Gasheizung verfügte, schien Warner der größte Vorteil dieser neuen Konstruktion zu sein, die mit Lärm und Abgasen mehr als jedes andere Fahrzeug die Ruhe der Bewohner Groß-Schwetzingens störte.
„Zum Schloss, man erwartet uns schon. Wir sollten uns beeilen“, sagte Warner, als er eingestiegen war und das Wurzelholzkästchen vorsichtig neben sich drapiert hatte.
„Ich weiß“, bestätigte der Fahrer und zog am Gashebel, der das Gefährt in Bewegung setzte. Sechs Verbrennungszylinder gaben die Kraft an ein stufenloses Getriebe weiter, so dass die Benz auf wahnwitzige siebzig Stundenkilometer beschleunigen konnte. Nach nicht einmal zwei Minuten hatte die Motorkutsche ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht und jagte lautstark über den Asphalt, vorbei an den Werkstätten und Bürgerhäusern in Ketsch, dem Schwetzinger Vorort der Edel- und Luxushandwerker.
In einiger Entfernung waren schon die Türme des Schlosses zu sehen, zu Ehren der Großherzogin in Purpur erleuchtet. Auch die weithin sichtbaren Asen-Statuen waren in der gleichen Farbe illuminiert.
Warner beobachtete das Farbenspiel, verlor sich aber in Gedanken, während sie sich dem Schlossgarten von Westen her näherten. Eine Lieferung dieser Art war alles andere als Routine, aber der Ængländer hatte die Chaussee schon zu oft befahren, als dass ihn der Anblick überwältigen würde, wie es gemeinhin bei den Besuchern der Residenzstadt der Fall war. Statt Gedanken an den Park oder das Tourbillon entstanden in seinem Geiste schattenhafte Bilder von Veränderungen, die sich bald in seinem Leben ergeben würden. Bilder aus einer anderen Zeit, die Vergangenheit und Zukunft zusammenführten, Erinnerungen und Träume wechselten sich ab, zu vage, als dass Warner ermessen konnte, was davon Wirklichkeit sein würde.
Nach einigen Minuten blockierte der Fahrer die Gaszufuhr, und das Gefährt wurde langsamer – und vor allem leiser. In Schrittgeschwindigkeit rollte es auf das große, schmiedeeiserne Tor zu, an dem die großherzogliche Garde Stellung bezogen hatte. Einer der Musketiere, die zu Ehren von Elisabeþs Geburtstag in Prachtuniform angetreten waren, bedeutete dem Fahrer, die Benz auf einem gekennzeichneten Stellplatz zu parken.
Der Großherzog duldete im Schlossgarten keine Erzeugnisse der industrialisierten Welt. Im Gegensatz zu
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