Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
hatten die Stadt in einen großen Festsaal verwandelt.
Die größte Attraktion der Festivitäten bildete traditionell der Ball zu Ehren der Großherzogin, zu dem ihr Gatte die Crème de la Crème des Fürstentums geladen hatte. Wer etwas auf sich hielt, ließ es sich nicht nehmen, an der Veranstaltung teilzunehmen, der allenfalls die kaiserlichen Bankette in Frankfurt das Wasser reichen konnten. Das Feuerwerk zum Ende des Ehrentages kurz vor Mitternacht war zweifelsfrei das Eindrucksvollste, das man in dieser Art auf reichsdeutschem Boden bewundern durfte.
Zuvor allerdings überreichte der Großherzog traditionell seiner Gattin sein persönliches Geschenk – wie in diesem Rahmen kaum anders zu erwarten, ließ er sich auch dabei keineswegs lumpen. In diesem Jahr hatte der großherzogliche Hofuhrmacher Jean-Jacques Bragot den Auftrag erhalten, ein ganz besonderes Prachtstück für Elisabeþ zu erschaffen. Einzige Bedingung Großherzog Ludwigs war gewesen, einen mechanischen Chronometer zu erschaffen, wie es ihn in dieser Form noch niemals gegeben hatte. Bragot galt als einer der besten Uhrmacher seiner Zeit und Großmeister der Komplikationen, der Zusatzanzeigen zur normalen Uhrzeit. Einen solchen Auftrag in nur drei Monaten verlässlich durchzuführen brachte aber auch den bald siebzig Jahre zählenden Franzosen an seine Grenzen. Erst am Abend des großen Tages war er mit dem Meisterstück fertiggeworden – und so zufrieden mit dem Resultat, dass er es bedenkenlos in die Hände seines Fürsten legen konnte.
Dennoch war der alte Uhrmachermeister selten so aufgeregt gewesen.
„Mon Dieu! Mon Dieu! Wir sind beinahe zu spät! Zu spät! Ein Bragot liefert nie zu spät!“
James Warner, seit Jahren Geschäftsführer der Uhrenmanufaktur des berühmtesten Uhrmachers in Großbaden, schmunzelte. „Keine Sorge, Maestro. Wir werden nicht zu spät liefern. Das ist in zwanzig Jahren kein einziges Mal geschehen, und wird auch heute nicht so sein.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Warner!“, antwortete Jean-Jacques Bragot und schob seine Uhrmacherlupe nach oben, die wie ein drittes Auge auf seiner Stirn prangte. „Das Fest hat schon begonnen!“ Langsam senkte er das Kleinod in die dafür vorgesehene Vertiefung im Inneren des Kästchens. Mit einem weichen Tuch säuberte er noch einmal das Saphirglas, obwohl er dies schon ein halbes Dutzend Mal getan hatte. Ein Mechanismus aus Edelstahlzahnrädern verschloss das Behältnis. Das abschließende Klicken verriet, dass alle Verriegelungen richtig eingerastet waren. Ohne den passenden Schlüssel ging nun nichts mehr.
„Ich bin sicher, es wird geraume Zeit dauern, bis der Großherzog alle Gäste begrüßt hat, Maestro“, beruhigte Warner, der den Uhrmacher beobachtete. „Man sagt, es machten sogar Vertreter vom kaiserlichen Hofe ihre Aufwartung, daneben Fürsten oder deren Abgesandte aus halb Europa. Frau Benz ist zu Gast, desgleichen einige Erben der Magnaten von Æsta, wie man hört.“
„Das ist mir egal“, gab Bragot unwirsch zurück. „Wenn die Großherzogin Geburtstag hat und man einen Bragot damit beauftragt, das Präsent des Gatten anzufertigen, interessiert es einen Bragot lediglich, dass es funktioniert und pünktlich übergeben wird. Was tangiert es einen Bragot da, wer dem Großherzog die Speisekammern leerfrisst?“
„Nun, es interessiert Sie aber sicher, wer alles Kenntnis von Ihrem neuen Meisterwerk erlangen wird, nehme ich an?“ Warner amüsierte sich innerlich über den mürrischen Uhrmachermeister, der sich stets bescheiden und zurückhaltend gab, tatsächlich aber eitel wie ein Pfau war. „Sie wissen doch genau, dass im ganzen Reich über Ihre neue Schöpfung gesprochen werden wird. Das beabsichtigen Sie doch?“
„Kann sein“, brummte Bragot und betrachtete erneut das Behältnis, in dem sein Meisterwerk nun sicher verschlossen war. Er schlug den Behälter vorsichtig in ein Tuch aus rotem Samt ein, das mit dem Emblem der Manufaktur versehen war. Nach einem prüfenden Blick reichte er es Warner. „Na gut, jetzt kann man ohnehin nichts mehr ändern. Warner, bringen Sie dem Großherzog seine Bestellung, richten Sie die besten Grüße eines Bragot aus und entschuldigen Sie noch einmal die knappe Zustellung – und noch etwas: Sie seien daran erinnert, das Uhrwerk unter keinen Umständen vorher aufzuziehen, auch nicht zu Zwecken der Demonstration. Ein Bragot persönlich hat sich seiner Funktionsfähigkeit mehrfach versichert, Monsieur, es dürfte nichts
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