Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
andere Manufakturen gerne verwenden. Nein, das Tourbillon besteht aus einer Metallmischung, die der Meister Æstagold getauft hat. Die Beimengung an Palladium sowie das anschließende Schockfrosten im Eis der wandelnden Stadt erschaffen erst diese Farbe, die mit nichts anderem vergleichbar ist. Geboren in Blut, Eis und Tränen.“
„Bemerkenswert. Können Sie mir sagen, was diese Uhr alles anzeigen kann? Ich erkenne nur den Stunden- und den Minutenzeiger … da unten das wird wohl die Sekunde sein – aber der Rest?“
„Meister Bragot wäre angetan von Ihrem Interesse“, sagte Warner. „Sie wissen aber, dass nur der Großherzog die Uhr in Betrieb nehmen darf, weshalb sie hier gewissermaßen mit einem in Totenstarre versetzten Uhrwerk Vorlieb nehmen müssen. Ich will versuchen, es auch Ihnen als Laien verständlich zu machen. Nutzen Sie einfach Ihre Phantasie.“ Warner räusperte sich, als wolle er eine Gesangsdarbietung zum Besten geben. „Neben der allfälligen Anzeige der Uhrzeit mittels dreier Zeiger können Sie hier oben – bei der ‚11‘ – die Æquationsanzeige, das heißt also die Sonnenauf- und –untergangszeiten, ablesen, geregelt auf nicht weniger als neunundneunzig Jahre. Daneben verfügt die Uhr über eine doppelte, vollplastische Mondphase bei der ‚3‘ und der ‚9‘ – präzise angezeigt für denselben Zeitraum. Die Mondkugeln bestehen aus partiell geschwärztem Platin – einzigartig in der Uhrmacherei.“
„Faszinierend – und was ist das dort unten?“ Der Camerlengo wies auf einen Käfig, der im freien Raum zwischen der Ziffer Sechs und der Mitte des Zifferblattes zu schweben schien. Eine Vielzahl an Zahnrädern war dort zu erkennen, deren Funktion nicht eindeutig zuzuordnen war.
„Are you serious?“ Warner schien beleidigt ob der Nachfrage, die selbst für einen Laien an Einfalt kaum zu überbieten war.
„Nun ja, könnte das … das ist dann wohl das Tourbillon …“, brummte der Camerlengo eingeschüchtert.
„Natürlich!“, gab Warner brüsk zurück. „Glanzstück dieser Uhr, die definitiv spektakulärste Komplikation, die Meister Bragot je entworfen hat!“ Er machte eine Pause und beobachtete sein Gegenüber. „Sie wissen doch, was ein Tourbillon ist, mein Herr?“
„Die … Krone der Uhrmacherkunst?“
„Ja, natürlich, aber wozu es dient, meine ich.“
Der Mann zuckte die Achseln.
Warner seufzte. „Eine Taschenuhr trägt man normalerweise wo, Sir?“
„In … der Tasche?“, gab der Camerlengo vorsichtig zurück. Augenscheinlich war er nicht ganz sicher, ob es sich um eine Fangfrage handelte.
„Exactly, und da man sie gemeinhin dort trägt, befindet sie sich stets in der gleichen Position, das heißt, in der Vertikalen. Trägt man das Schmuckstück lange genug mit sich herum, sorgt die Schwerkraft dafür, dass auch das präziseste Uhrwerk irgendwann ungenau geht. Die Gravitation beeinflusst die Hemmung so, dass es bald vorbei ist mit Chronometerzertifikaten und sekundengenauer Anzeige. Können Sie mir folgen?“
„Ich denke schon.“
„Gut. Das Tourbillon expediert die Hemmung, also Anker und Unruhspirale, in einen Käfig, der sich im Raum um sich selbst dreht, um durch die ständige Lageveränderung von allen Seiten gleichmäßig der Erdanziehungskraft ausgeliefert zu sein, was letztlich ihre Ganggenauigkeit erhält. Ist die Fertigung dessen schon eine schwer zu erlernende Kunst, die nur wenige Uhrmacher beherrschen, verfügt das Tourbillon Histoire Mystique über eine ganz besondere Eigenschaft: Sie werden nicht erkennen, wie der Tourbillonkäfig überhaupt mit dem Räderwerk der Uhr verbunden ist, um die Kräfte, die auf dieses einwirken, zu zähmen. Dass es dies dennoch tut, erkennen Sie am Schwingen der Spirale – wenn wir die Uhr aufziehen würden. Das Tourbillon schwebt folglich gewissermaßen im Raum, als sei es nur schmückendes Addendum Dutzender Zahnräder in ihrem verwegenen Spiel, losgelöst von unserer Zeit und Sphäre.“
„Wie ist das möglich?“
„Well, das ist Maestro Bragots Geheimnis. Nur er beherrscht diese Technik, die weltweit einmalig ist. Ich schätze, deshalb hat Ihr Großherzog so einen Narren an ihm gefressen.“
„Ich verstehe allmählich, was die Menschen so an diesen mechanischen Meisterstücken fasziniert“, sagte der Camerlengo.
„Wenn es Sie einmal gefangen hat, lässt es Sie nie wieder los, you know“, antwortete Warner lächelnd. Die Droschke verlangsamte die Geschwindigkeit, und er packte das
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