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Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)

Titel: Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Krzywik-Groß , Torsten Exter , Stefan Holzhauer , Henning Mützlitz , Christian Lange , Stefan Schweikert , Judith C. Vogt , André Wiesler , Ann-Kathrin Karschnick , Eevie Demirtel , Marcus Rauchfuß , Christian Vogt
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Kleinod wieder in das Kästchen.
    „Wir sind da“, sagte der Camerlengo, der einen Blick durch den Vorhang geworfen hatte. Sie passierten gerade den Brunnen. Die Flügel des Schlosses nahmen das Blickfeld zu beiden Seiten ein, und das flackernde Licht Dutzender Fackeln tauchte den Vorplatz in eine besondere Atmosphäre. James Warner fühlte sich in der Zeit zurückversetzt, als er über die Stufen aus dem Kutschenhaus heraus stieg und auf den Kies trat. Zurück in eine archaische Epoche, als Feinmechanik und Maschinen, Kessel und Dampf, Stahl und Industrie nichts weiter waren als ein Zukunftsraum.
    Die Ehrenwachen, die das Mittelschiff des Schlosses bewachten, trugen mit ihren prunkvollen Hellebarden, den Morionen und ihren gestreiften Gewändern über den Harnischen ihr Übriges dazu bei.
    Entspringt das der Phantasie des Herzogs, oder erhaschen meine Augen hier wirklich den Glanz einer fernen Vergangenheit? , fragte sich Warner, als er hinter dem Camerlengo auf das Gebäude zu schritt. Der Ængländer liebte die Errungenschaften der modernen Zeit und machte sie sich gerne zu Eigen, doch hatte er sich schon oft in vergangene Jahrhunderte geträumt, in die Epoche der Vikingar oder der Renascentia, als das Leben vermeintlich einfacher gewesen war.
    Die Männer passierten das Tor und betraten den Durchgang, bestiegen die breite Treppe hinauf in die repräsentativen Räumlichkeiten des Schlosses. Uniformen und Wappen verschiedener reichsdeutscher und badischer Adelshäuser begegneten den Augen des Ængländers. Grimmig dreinschauende Offiziere, vereinzelt mit künstlichen Extremitäten, sowie wie Porzellanfiguren geschminkte Edeldamen würdigten den Geschäftsführer keines Blickes. Warner unterdrückte den aufwallenden Ärger über die Arroganz des Adels.
    „Warten Sie kurz“, sagte der Camerlengo und ließ ihn in einem Seitengang vor dem Ballsaal mit einem Pagen allein. Während der junge Mann angestrengt an ihm vorbei stierte, versuchte der Ængländer, einen Blick in den Saal zu erhaschen, konnte aber nur ein unentwirrbares Gemenge von Hüten und Köpfen, unterlegt mit der monotonen Melodie des Gemurmels aus hunderten Mündern wahrnehmen.
    Kurz darauf kehrte der Camerlengo auch schon zurück. „Vierhunderttausend Goldmark. Wie ausgemacht bei Ablieferung zahlbar“, sagte er. „Wenn Sie mir den Erhalt hier quittieren.“ Er wedelte mit einem Blatt Papier.
    „Of course“, sagte Warner lächelnd. „Es ist ja inzwischen eine liebgewonnene Formalität“, fügte er hinzu, während er seine Unterschrift unter die Summe setzte. „Aber nun müssen Sie mich entschuldigen. Wie ich schon sagte: Der Maestro ertrinkt in Arbeit, so dass ich ihm lieber zu Hand gehe, als auf die Übergabe an die Herzogin zu warten.“
    „Sehr schade! Der Großherzog hätte Ihnen sicherlich das ein oder andere lobende Wort an Meister Bragot mit auf den Weg gegeben – und auch Ihnen sei gedankt. Für die pünktliche Lieferung und die Erklärung des kleinen Wunderwerks.“
    „My pleasure“, antwortete Warner. „Das Lob wird der Großherzog sicher nachholen. Es würde mich wundern, wenn er und seine Gattin nicht aufs Äußerste begeistert wären. Das war bislang immer der Fall und wird in Anbetracht der Einzigartigkeit des Tourbillons Histoire Mystique auch dieses Mal so sein.“
    „Da bin ich mir sicher“, sagte der Camerlengo mit einem Lächeln. „Ich werde das Kleinod rasch dem Großherzog übergeben und bin überaus gespannt, das Tourbillon in Aktion zu erleben. Ich entbiete in seinem Namen einen Gruß an Meister Bragot und wünsche einen guten Heimweg.“
    „Ich danke Ihnen, den werde ich haben – auch wenn es etwas länger dauern wird“, sagte Warner zum Abschied.
    Von einem Lakaien wurde er hinunter geleitet. Er verließ das Schloss auf dem Weg, den er gekommen war und warf noch einen Blick auf die Fassade, deren roséfarbener Putz der Nacht trotz ihrer eisigen Temperatur eine gewisse Wärme verlieh.
    Keiner der Hellebardiere nahm davon Notiz, dass ein Lächeln seine Lippen umspielte.
    Der Geschäftsführer des Meisteruhrmachers bestieg die Kutsche, die sich kurz darauf in Bewegung setzte.
    Wenige Minuten später hatten sie das Westtor des Schlossparks erreicht. Warner bedankte sich bei dem Kutscher und ließ sich von den Torwachen hinausbegleiten. Der Chauffeur von Bragots Motorkutsche öffnete ihm die Tür zur Passagierkabine und nickte.
    „Hat alles geklappt?“, fragte er.
    „Yes, as expected“, antwortete Warner.

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