Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition)
Titel:
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt
letztmöglichen Augenblick aus. Als die Arme herunter schnellten, warf sich Heinrich zur Seite. Der Schlag des Golems traf krachend die Konsole hinter der Stelle, an der er gerade noch gestanden hatte. Es entstand unter Zischen und Bersten ein Funkenregen, durch die schiere Kraft des Treffers zerbarst das Schaltpult, und irgendwo hob ein tiefes Brummen an, das sich zu steigern schien.
Heinrich hoffte, dass der Schlag etwas Wichtiges zerstört hatte, aber die sich überschlagende Stimme Al Hadarys verdarb seine Zuversicht: „Wohl gespielt, Herr Jonas. Zum Glück ist nichts Maßgebliches beschädigt. Ich werde ab sofort wachsamer sein!“ Schon bewegte sich der Koloss erneut auf ihn zu. Seine List war gut gewesen, doch sie würde kein zweites Mal wirken. Während er weiter auswich, zermarterte er sich den Kopf, was man noch unternehmen konnte, ehe die Macht des Irren in der Maschine zu groß wurde. Er musste trotz der aussichtslosen Situation lachen. Das hier dufte man mit Fug und Recht als das genaue Gegenteil eines Deus ex Machina bezeichnen.
Da zerriss ein Schrei die Stille, ein Schrei, wie er ihn heute bereits einmal vernommen hatte. Ungläubig sah er, wie Nehal von einem Tisch auf den Rücken des Golems sprang und behände an ihm hochkletterte. Ihm stockte der Atem, als er erkannte, dass sie die Pharaonenkrone, die sechemty , trug. Was in aller Welt hatte sie nur vor?
Das von Al Hadary kontrollierte Konstrukt mühte sich eine Zeit lang vergeblich, die Frau auf seinem Rücken zu erreichen, doch dafür waren die Arme nicht konstruiert. Vor derlei Zugriffen war sie also sicher. Voller Unglauben musste Heinrich mit ansehen, wie sie sich an den Rücken der Kreatur schmiegte, ihren Kopf nahe dem Hals ablegte und die Augen schloss.
„Was?“, schrie der Kurator aus dem Inneren seiner Apparatur. Der Golem begann, wie ein Betrunkener umherzutaumeln. Heinrich begriff mit einem Schlag, was geschah: Nehal rang mit Al Hadary um die Kontrolle über die künstliche Kreatur. Zwar beherrschte er die Maschine, und sie verfügte nur über die schwächere Krone mit der darin eingebauten Technik, doch wie es aussah, machte der direkte Kontakt mit dem Golem dies wett. Was für eine Frau, sie vermochte einen Säbel zu führen und war zudem noch scharfsinnig und ideenreich! Das Gesicht des selbsternannten Pharaos verzerrte sich, dagegen wirkte das Nehals friedlich, entspannt, fast als würde sie schlummern.
Dann machte der Koloss einen zaghaften Schritt auf die Maschine zu, einen weiteren und noch einen. Er hob die Arme und ließ sie mit der monströsen Macht, die dem künstlichen, metallenen Hünen innewohnte, in die Apparatur krachen. Und noch einmal. Das unartikulierte Schreien des Kurators steigerte sich zu etwas ganz und gar Unmenschlichem. Entladungen und Blitze waberten über die Oberfläche der Maschine, und ein drittes Mal hieb der nun von Nehal kontrollierte Golem darauf ein, riss zudem Stücke heraus. Von einem Augenblick auf den anderen erfüllte infernalisches Getöse den Raum. Aus den Augenwinkeln wurde Heinrich gewahr, dass der listige Farid damit begonnen hatte, hektisch und völlig zufällig Knöpfe zu drücken und Schalter umzulegen. Immer mehr der Kontrolllämpchen flackerten stakkatoartig oder wechselten ihre Farbe zu einem bedrohlichen Rot.
Noch einmal hieb der Golem auf die Maschine ein, der Lärm steigerte sich zu einem Crescendo, und dann schlugen gleich mehrere armdicke, weißlich-blaue Überschlagsblitze aus den wie durch ein Wunder nach wie vor rotierenden Kupferdrahtspulen heraus und wieder in die Apparatur ein. Farid und Shaira suchten geduckt neben einer Konsole Schutz und klammerten sich aneinander. Infolge des Einschlags eines der Blitze in den Golem flog Nehal vom Rücken der Kreatur, prallte hart erst gegen eine Wand und schlug danach schwer auf dem Boden auf. Heinrich schrie „Nein!“ und wollte sofort zu ihr eilen, doch die massiven Blitzentladungen irrlichterten noch immer durch den Raum und behinderten ihn. Als er das bewegungslose Mädchen endlich erreichte, geschah, was nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit geschehen musste: Er wurde von einem der umherwandernden Blitze direkt getroffen.
Die Welt erstrahlte in gleißendem Licht – und versank dann abrupt in finsterster Schwärze.
Übergangslos wurde Heinrich wach, als habe in etwas aus einem tiefen, traumlosen Schlaf gerissen. Er öffnete die Augen und sah … ins Gesicht Nehals. Anscheinend ruhte sein Kopf in ihrem Schoß.
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