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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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hatte, hatte sie sogar bei den Schultern gepackt und geschüttelt, und dennoch hatte sie nichts anderes tun können, als Nein zu sagen. Hinterher hatte es ihr leid getan, und sie hatte sich Selbstvorwürfe gemacht. Vielleicht hätte sie doch Ja sagen sollen. Schließlich liebte er sie. Und sie liebte ihn. Und sie wollte doch nicht, dass er es so schwer hatte.
    Vielleicht dachte er auch in diesem Moment daran. Vielleicht war das der Grund, dass er sie fester bei den Schultern fasste und sie auf den Rasen schob, auf den man eigentlich nicht gehen durfte, zu einer Weide ganz in der Nähe. Die hatte noch nicht ihre Blätter verloren, sie konnte spüren, wie sie sie berührten, als er die Zweige teilte und ihr etwas zuflüsterte, aber sie hörte nicht, was er sagte, hörte nur seine Stimme und stellte sich vor, wie die Weidenblätter aussahen, wie sie braun und trocken geworden waren und sich einrollten. Bald würden sie wie alte, eingetrocknete Erbsenschoten aussehen, dachte sie und wandte sich ihm zu, lächelte und stellte sich vor, dass er ihr Lächeln erwiderte.
    Aber vielleicht tat er das gar nicht.
    Hinterher konnte sie sich glasklar daran erinnern, was passiert war, obwohl sie nicht so recht glauben konnte, dass es wirklich passiert war oder dass Jörgen wirklich dort gewesen war. Ein Fremder packte sie an den Haaren, und Sekunden später lag sie auf der Erde, auf einem Lager aus Weidenlaub, das unter ihr raschelte, und einen Moment lang war das alles, was sie registrierte. Das Rascheln. Sekunden später konnte sie spüren, wie sie derselbe Fremde ins Gesicht schlug. Die Kehle wurde ihr zugeschnürt, jemand packte sie am Hals, und seine Daumen trafen sich mitten auf ihrer Gurgel. Ihre eigenen Hände fuhren hoch und versuchten den Griff zu lockern, aber das ging nicht, weil sie keine Luft bekam. Etwas lief ihr in die Kehle – Schleim? War das Schleim? – und verstopfte sie so, dass sie keine Luft mehr bekam, etwas Weiches, Warmes, Salziges. Blut! Das war Blut. Und im selben Augenblick ließ der Fremde mit einer Hand los und schob sie unter ihren Rock, fummelte dort unten herum, bis er ihn über die Oberschenkel hochgezogen hatte, legte ihr dann die andere Hand aufs Gesicht, verschloss damit Mund und Nasenlöcher, und sie schüttelte den Kopf, versuchte sich zu befreien, um nach Luft zu schnappen, und gleichzeitig dachte sie an ihre Unterhose, hoffte innerlich, flehte zu Gott, dass ihre Unterhose in Ordnung war, dass sie nicht ausgeleiert war oder Spuren von Menstruationsblut aufwies, dann drang er in sie ein. Zerriss sie. Und beide wurden ruhig, lagen einen Moment lang reglos da, bevor er plötzlich ihren Hals küsste und flüsterte:
    »Ich liebe dich, Elsie. Ich liebe dich …«
    Das war Jörgens Stimme. Das war eindeutig Jörgens Stimme.
    Hinterher hatte er geweint. Geweint und sie um Verzeihung gebeten, hatte so schwer auf ihr gelegen, dass sie kaum atmen konnte. Dennoch hatte sie die Arme um ihn geschlungen und ihn noch fester an sich gedrückt, hatte vollkommen reglos dagelegen und ihre Wangen von seinen Tränen befeuchten lassen. Natürlich verzieh sie ihm. Sie würde es ihm sagen. Sobald sie wieder reden konnte, würde sie es ihm sagen.
    Aber es dauerte, bis sie die Sprache wiederfand. Zuerst standen sie auf, und Elsie stellte fest, dass sie einen Schuh verloren hatte, ihr Fuß sank durch das trockene Laub bis auf die schwarze Erde und sie konnte fühlen, wie kalt sie war, wie sich die Zehen krümmten und zusammenzogen, und sie hob das Bein und stützte sich am Baum ab, während sie sich bückte und den Boden absuchte, mit der Hand nach dem Schuh suchte. Da war er. Von der Bewegung wurde ihr schwindlig, und sie sank wieder zu Boden, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm und zog den Schuh an, spürte, wie die Kälte ihr durch den Mantel kroch, durch den Rock, durch ihre feuchte Unterhose und sie verwandelte, sie eiskalt machte, während sie den Schuh über den Fuß zog und zuband. Dann stand sie auf, immer noch mit einer Hand am Baum, und zog den Rest ihrer Kleidung zurecht, hörte eher, als dass sie sah, dass Jörgen ihr den Rücken zudrehte und den Reißverschluss im Hosenschlitz hochzog.
    In diesem Moment stand die Erde still. Eine Mikrosekunde lang wurde alles um sie herum vollkommen still, und die Dunkelheit, die gerade noch eine ganz normale Herbstdunkelheit gewesen war, wurde tiefer und schwarz wie Samt.
    Jetzt bin ich schwanger geworden, dachte Elsie. Genau in diesem Moment bin ich

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